08.06.2018

Würdigung für Fortschritte in der Diagnostik

Jens Frahm erhält Europäischen Erfinderpreis 2018 für rasante Beschleunigung von MRT-Aufnahmen.

Das Europäische Patentamt (EPA) würdigt den Göttinger Physiker Jens Frahm vom Max-Planck-Institut (MPI) für bio­physikalische Chemie mit dem Europäischen Erfinder­preis für seine bahn­brechenden Weiter­entwicklungen in der Magnet­resonanz­tomografie (MRT). In zwei Schritten ist es ihm und seinem Team gelungen, die MRT um das bis zu 10.000-fache zu beschleunigen und diese Technologie in der klinischen Praxis zu etablieren.

Abb.: Jens Frahm (Bild: F. Vinken / MPG)

Frahm setzte sich in der Kategorie Forschung erfolg­reich gegen die mit ihm nominierten britischen Forscher Eileen Ingham und John Fisher sowie das polnische Team um Jacek Jemielity, Joanna Kowalska und Edward Darynkiewicz durch. In seiner Rede anlässlich der feierlichen Verleihung des Europäischen Erfinder­preises am 7. Juni 2018 in Paris, Saint-Germain-en-Laye (Frankreich) bedankte sich der frisch gekürte Preis­träger und lobte sein gesamtes Team: „Der Europäische Erfinder­preis ist eine große Ehre und eine wunder­volle Anerkennung der innovativen Arbeit unseres ganzen Forschungs­teams. Ich bin herzlich den vielen fantastischen Mitarbeitern dankbar, die über die Jahre daran gemeinsam gewirkt haben.“

Bei den ersten MRT-Geräten in den 1970er Jahren mussten Patienten für ein aussage­kräftiges Bild minuten­lang völlig still liegen – ein großer Nachteil gegenüber den deutlich schneller erstellten Ultra­schall- und Röntgen­aufnahmen. Frahm revolutionierte die MRT, indem er diese radikal schneller machte. Die von ihm und seinem Team entwickelte Flash-Technologie reduzierte die Bild­aufnahme­raten von Minuten auf Sekunden und machte die MRT in der Folge zu einem der bedeutendsten bild­gebenden Verfahren in der klinischen Diagnostik.

Anders als Röntgenstrahlen ist diese Technik für den Patienten zudem völlig unschädlich. Weltweit finden rund 100 Millionen Unter­suchungen im Jahr statt; jede einzelne nutzt Frahms Technologie. Mit dem Flash2-Verfahren gelang Jens Frahm und seinem Team 2010 schließlich ein zweiter großer Durch­bruch hin zur Echt­zeit-MRT, mit der sich erstmals Vorgänge aus dem Inneren unseres Körpers live filmen lassen – ein weiterer entscheidender Fortschritt für eine medizinische Diagnose.

Im Magnetresonanz-Tomografen richten sich diese Wasserstoff­kerne parallel zu den Magnet­feld­linien aus, die vom Gerät erzeugt werden. Durch einen kurzen Radio­frequenz­impuls werden die Kerne dann aus ihrem Gleich­gewicht ausgelenkt. Beim Zurück­schwingen in ihre ursprüngliche Ausrichtung senden sie ihrerseits Radio­wellen aus, die von hoch­empfindlichen Spulen aufgezeichnet werden. Vielfach wiederholt, lässt sich aus diesen orts­abhängigen Signalen am Computer ein Bild berechnen, das exzellente Darstellungen von Organen und Gefäßen ermöglicht.

Die erste MRT-Aufnahme eines Menschen im Jahr 1977 dauerte genau vier Stunden und 45 Minuten – für den klinischen Alltag ein untaugliches „Schnecken­tempo“. „Die damals sehr langen Mess­zeiten in der MRT entstanden durch die vielen Einzel­messungen mit unterschiedlicher Orts­kodierung und der dazwischen nötigen Warte­zeit“, erklärt Frahm. „Unsere Idee in den 1980er Jahren war es, für jede Einzel­messung nur einen Teil des verfüg­baren MRT-Signals zu nutzen. Mit diesem physikalischen Trick konnten wir die Pausen vollständig eliminieren und die Mess­zeiten mit Flash radikal um mindestens den Faktor 100 verkürzen.“ In wenigen Minuten war so ein hoch­aufgelöstes, drei­dimensionales MRT-Bild erstellt – und dies ohne Verlust von Bild­qualität. Führende Hersteller von MRT-Geräten übernahmen Flash bereits innerhalb weniger Monate. Als bis heute profitabelstes Patent der Max-Planck-Gesellschaft hat es rund 155 Millionen Euro an Lizenz­einnahmen eingebracht.

Im Jahr 2010 lösten Frahm und sein Team mit Flash2 schließlich auch das Problem der hohen Zahl an erforderlichen Einzel­messungen. Einfach ausgedrückt ist Flash2 die Flash-Technologie samt Film­funktion: Es verwendet ein neues mathematisches Verfahren für die Bild­rekonstruktion und kommt dadurch mit nur wenigen Einzel­messungen pro Bild aus. Die Technik beschleunigte die MRT-Aufnahmen ein weiteres Mal erheblich, auf bis zu 100 Bilder pro Sekunde. Dies erlaubt es, beliebige Vorgänge im Inneren des Körpers wie Gelenke in Bewegung, das schlagende Herz oder komplexe Abläufe wie das Sprechen oder Schlucken direkt zu beobachten.

Davon könnten Patienten mit Gelenk- oder Herz­problemen ebenso profitieren wie Menschen mit Sprach­störungen, Schluck­beschwerden oder Sod­brennen. Herz­patienten müssen beispiels­weise bei der Echtzeit-MRT – anders als bei einer konventionellen MRT-Untersuchung – dank der schnellen Bild­rate weder den Atem anhalten, noch muss die Aufnahme über das EKG-Signal gesteuert werden. „Ärzte können so in viel kürzerer Zeit das schlagende Herz in einer neuen Weise umfassend kardiologisch begutachten und Herz­rhythmus­störungen genauer analysieren“, so Frahm.

Die Echtzeit-MRT wird derzeit an der Universitäts­medizin Göttingen und mehreren anderen Universitäten in Deutschland, Großbritannien und den USA für den routine­mäßigen Einsatz am Patienten getestet. „Der Erfinder­preis wird unsere Motivation weiter stärken, wissen­schaftliche Forschung zu betreiben, die unmittelbar den Menschen zugutekommt. Die hiermit verbundene große mediale Aufmerksam­keit wird sicher dazu beitragen, die breitere klinische Nutzung unserer Echtzeit-MRT-Technik zu beschleunigen“, ergänzt der Physiker.

Aber nicht nur in der Medizin, auch in ganz anderen Bereichen wie beispiels­weise der Musik liefert die Echtzeit-MRT neue Einblicke. So untersucht Frahm, der selbst Klarinette spielt, in einer gemeinsamen Studie mit der Hoch­schule für Musik, Theater und Medien Hannover, wie Klang in Blech­blas­instrumenten wie dem Horn erzeugt wird. An dieser Studie beteiligt waren auch Berliner Philharmoniker. Ihre eigenen Spiel­bewegungen live zu sehen, brachte den Blech­bläsern über­raschende Einsichten: Anders als bisher gedacht, haben Zungen­bewegungen einen ganz erheblichen Einfluss auf die Gestaltung der Töne. Diese Erkenntnis könnte für die künftige Musiker­ausbildung bedeutend sein und helfen, Berufs­krankheiten von Blech­blas­musikern wie die fokale Dystonie zu therapieren. (cr)

Der gebürtige Oldenburger Jens Frahm studierte an der Universität Göttingen Physik und forschte für seine Doktor­arbeit in physikalischer Chemie am MPI für bio­physikalische Chemie. Schon damals war sein Forschungs­thema, Prozesse im menschlichen Körper sichtbar zu machen: Als junger Doktorand untersuchte er die medizinische Anwendung der damals neuartigen Magnet­resonanz­tomografie. Im Anschluss arbeitete er als wissenschaftlicher Assistent am selben Institut und leitete dort von 1982 bis 1992 die selbst­ständige Forschungs­gruppe bio­medizinische NMR. Seit 1993 ist Frahm Leiter der am MPI für bio­physikalische Chemie angesiedelten gemein­nützigen biomedizinischen NMR Forschungs-GmbH, die über Einnahmen des Flash-Patents finanziert wird. Er habilitierte 1994 an der Universität Göttingen und wurde im Jahr 1997 zum außer­plan­mäßigen Professor an die hiesige Fakultät für Chemie berufen. Jens Frahm ist als Erfinder von vier europäischen Patenten genannt.

Für seine Forschungsarbeiten wurde Jens Frahm mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter dem European MRI Award der Deutschen Röntgen­gesellschaft (1989), dem Gold Medal Award der International Society for Magnetic Resonance in Medicine (1991), dem Karl Heinz Beckurts-Preis (1993), dem Forschungs­preis der Sobek-Stiftung (2005), dem Stifter­verbands­preis (2013) und der Jacob Henle-Medaille (2016). 2016 wurde Jens Frahm in die Hall of Fame der deutschen Forschung gewählt.

MPIBPC / DE

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