Margriet van der Heijden und Miriam Blaauboer • 7/2025 • Seite 42Hendrika Johanna van Leeuwen
Die Wissenschaftlerin hinter dem Bohr-van-Leeuwen-Theorem
Das Bohr-van-Leeuwen-Theorem besagt, dass Magnetismus nicht klassisch erklärbar ist, was darauf schließen lässt, dass es sich um ein echtes Quantenphänomen handeln muss. Dass es nach Bohr benannt ist, ist vielleicht nicht so überraschend, aber wer war van Leeuwen?
Als Hendrika Johanna „Jo“ van Leeuwen 1919 ihre Dissertation bei Hendrik Lorentz abschloss, war sie nicht seine erste Doktorandin. Drei weitere Frauen hatten ebenfalls bei ihm promoviert: seine eigene Tochter Berta und Johanna Reudler im Jahr 1912 sowie Eva Bruins im Jahr 1918. Die vier gehörten zu den ersten Frauen, die in den Niederlanden Physik auf universitärem Niveau studieren konnten. Das war in den Niederlanden wie auch anderswo in Europa keine Selbstverständlichkeit. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts bahnten sich Frauen langsam ihren Weg an die Universitäten, die ihnen bis dahin nur zögerlich ihre Türen geöffnet hatten. Ihr Fortkommen wurde oft durch eine unzureichende Vorbildung behindert, vor allem wenn sie sich für die Wissenschaft interessierten. Die Hogere Burger School (HBS), die zusammen mit einem zusätzlichen Staatsexamen in Griechisch und Latein für viele Jungen den Weg zu einem naturwissenschaftlichen Studium ebnete, nahm bis weit ins 20. Jahrhundert hinein in der Regel keine Mädchen auf. In den mittlerweile eingerichteten speziellen HBS-Schulen für Mädchen wurden die Fächer Physik und Mathematik weitgehend durch Handarbeit und Hauswirtschaft ersetzt.
Jo van Leeuwen und ihre jüngere Schwester Nel hatten das Glück, dass ihre fortschrittlichen Eltern sie an der Haager Knabenschule anmeldeten, als diese 1901 die Aufnahme von Mädchen erlaubte, was damals noch einer ministeriellen Ausnahmegenehmigung bedurfte. Außerdem erlaubten sie ihren beiden Töchtern, die staatliche Ergänzungsprüfung in Griechisch und Latein abzulegen und anschließend in Leiden Physik zu studieren. Dort begann Jo dann 1914 ihre Doktorarbeit bei Lorentz [1]. (...)
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Andrea Reichenberger • 6/2025 • Seite 34Grete Hermann
Eine Brückenbauerin zwischen Physik, Philosophie und Politik
Grete Hermann war eine Pionierin in der mathematisch-physikalischen Grundlagenforschung. Mitte der 1930er-Jahre setzte sie sich intensiv mit Johann (John) von Neumanns Überlegungen zu verborgenen Variablen in der Quantenmechanik auseinander.
Grete Hermann wurde am 2. März 1901 in Bremen geboren. Sie studierte Mathematik, Physik und Philosophie in Göttingen und Freiburg und promovierte 1925 bei der Mathematikerin Emmy Noether mit einer Dissertation zur „Frage der endlich vielen Schritte in der Theorie der Polynomideale“. Nach ihrer Promotion arbeitete Grete Hermann als private Assistentin beim Philosophen Leonard Nelson, einem Freund und Kollegen David Hilberts. Nach Nelsons Tod 1927 veröffentlichte sie zusammen mit Minna Specht Nelsons Arbeiten und hielt Vorträge zu seinem Werk. Specht war eine führende Figur des Internationalen Sozialistischen Kampfbunds ISK, einer kleinen intellektuellen Elite aus Göttingen. (...)
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Johannes-Geert Hagmann • 5/2025 • Seite 38Maria Goeppert Mayer
Die spätere Nobelpreisträgerin leistete einen wichtigen Beitrag zur Theorie der Zwei-Photonen-Absorption.
Die deutsch-amerikanische theoretische Physikerin Maria Goeppert Mayer ist vor allem für ihre Mitentwicklung des Schalenmodells des Atomkerns bekannt, die ihr den Nobelpreis einbrachte. Bisher weniger beachtet ist jedoch ihre frühe grundlegende Arbeit in der Quantenphysik zur Theorie der Zwei-Photonen-Absorption.
Der große Moment ist gekommen: In den festlich erleuchteten Sälen des Stockholmer Konzerthauses, inmitten einer erlesenen, in Fracks und Abendroben gekleideten Gesellschaft, erhebt sich Maria Goeppert Mayer1) und wechselt ein kurzes Lächeln mit ihrem Nachbarn. „Im Namen der Akademie gratuliere ich Ihnen herzlich und bitte Sie, den Nobelpreis für Physik für das Jahr 1963 aus den Händen seiner Majestät des Königs entgegenzunehmen.“ Als erst zweite Frau in der Geschichte wird sie Physik-Nobelpreisträgerin, zusammen mit Eugene Wigner und J. Hans D. Jensen (Abb. 1). Als der großgewachsene König Gustaf VI. Adolf sich vorbeugt, um ihr die Urkunde und die Medaille zu überreichen, bewegt sich Mayers rechter Arm nach vorne, gefolgt – etwas langsamer – vom linken. Dieser ist teilweise gelähmt aufgrund eines Schlaganfalls, den sie drei Jahre zuvor erlitten hatte und der ihre Gesundheit dauerhaft beeinträchtigte. Der feierliche Moment der Anerkennung ihrer herausragenden wissenschaftlichen Leistungen ist daher auch von Zerbrechlichkeit geprägt. Goeppert Mayers Karriere lässt sich aus unterschiedlichen, miteinander verwobenen Perspektiven lesen: durch höchste wissenschaftliche Errungenschaften zum einen, aber auch durch persönliche Herausforderungen, Schicksalsschläge und Widerstände, die sie als Wissenschaftlerin in ihrer Zeit erlebte. (...)
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Daniela Monaldi • 4/2025 • Seite 32Laura Chalk
Die kanadische Physikerin lieferte einen frühen experimentellen Nachweis der jungen Quantenmechanik, der vollkommen in Vergessenheit geriet.
Die erste neue Vorhersage der Quantenmechanik wurde von Laura Chalk, einer Doktorandin an der McGill University in Montreal, Kanada, zwischen 1926 und 1928 unter der Leitung von J. Stuart Foster experimentell überprüft. Warum ist aber das Foster-Chalk-Experiment aus der Geschichte der Quantenmechanik verschwunden? [1]
Laura Mary Chalk wurde 1904 in Montreal in eine Pädagogenfamilie hineingeboren und zeigte schon früh hervorragende akademische Leistungen, insbesondere in Mathematik. Der Leiter der Physikabteilung der McGill University, Arthur S. Eve, ermutigte sie, Physik zu studieren, und 1925 schloss sie ihr Studium in Mathematik und Physik mit Auszeichnung ab. Nachdem sie als beste Studentin des Jahres in Physik und Mathematik ausgezeichnet worden war und ein einjähriges Stipendium des National Research Council erhalten hatte, beschloss sie, in McGill zu bleiben, und wurde die erste Doktorandin von J. Stuart Foster, dem jüngsten Mitglied der Fakultät und einem aufstrebenden Experten für experimentelle Beobachtungen des Stark-Effekts. Fosters zweiter Doktorand war William Rowles, der später Physikprofessor am McGill College of Agriculture und Ehemann von Chalk werden sollte [2]. (...)
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Arne Schirrmacher • 4/2025 • Seite 28Die Quantenphysikerinnen
Eine Artikelserie porträtiert Physikerinnen, deren Beiträge zur Quantenphysik bislang kaum gewürdigt wurden.
Die Geschichte der Quantenphysik ist wie kaum eine andere Entwicklung in der modernen Wissenschaft als eine Geschichte von Männern geschrieben worden. Meist noch kombiniert mit dem Merkmal der Jugendlichkeit wird von „Knabenphysik“ und der „Drei-Männer-Arbeit“ berichtet, und es scheint, als hätten Frauen keinen Anteil daran gehabt. Persönliche und populäre Darstellungen haben lange dazu beigetragen, dieses Bild zu verfestigen, das sich – so wie das virtuelle Bild in der Optik – nicht auf der Ebene der Realität abbilden lässt.
Studierende sind oft überrascht zu erfahren, dass die erste Physikprofessorin nicht aus dem zwanzigsten, sondern aus dem achtzehnten Jahrhundert stammt. Laura Bassi wurde 1732 eine gutbezahlte Professur an der Universität Bologna verliehen. Am Ende ihres Lebens sollte sie dazu noch einen Lehrstuhl für Experimentalphysik erhalten – zu einer Zeit, als ihre fünf erwachsenen Kinder vielfach selbst Gelehrte geworden waren, ein Sohn etwa auch Physikprofessor (während ihre einzige überlebende Tochter Nonne wurde).
Über die wenigen besonders herausragenden Fälle hinaus haben Frauen in vielerlei Institutionen und Rollen Beiträge zur modernen Wissenschaft geleistet, auch wenn dies oft nur gegen beträchtliche Widerstände möglich war. Häufig waren ihre Erkenntnisse den Zeitgenossen durchaus bekannt und ihre Leistungen wurden erst später unsichtbar. (...)
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Gernot Münster • 6/2020 • Seite 30(K)eine klassische Karriere?
Lucy Mensing (1901 − 1995) war eine Pionierin der Quantenmechanik.
Nach der Formulierung der Quantenmechanik durch Heisenberg, Born und Jordan 1925/26 wandten Wolfgang Pauli und Lucy Mensing die neue Theorie erstmals auf reale physikalische Systeme an. Mensing fand dabei als erste die zulässigen Werte für den quantenmechanischen Bahndrehimpuls. Ende der Zwanzigerjahre beendete sie ihre wissenschaftliche Karriere.
In der klassischen Mechanik ist der Drehimpuls eines Teilchens oder Teilchensystems eine reelle vektorwertige Größe, die beliebige Werte annehmen kann. In der Quantenmechanik hingegen ist der Drehimpuls quantisiert. Sein Betrag ist charakterisiert durch eine Quantenzahl l, die nur gewisse diskrete Werte annehmen kann. Ausgehend von den algebraischen Beziehungen der Drehimpulskomponenten untereinander lässt sich zeigen, dass die Quantenzahl l nur ganzzahlige (0, 1, 2, 3, . . .) oder halbzahlige Werte (1/2, 3/2, 5/2, . . .) annehmen kann. Wir sind heute mit der Bedeutung der halbzahligen Werte vertraut, aber wie stand es damit in der Zeit der Entwicklung der Quantenmechanik?
Nach ersten Schritten von Max Born in Richtung einer quantentheoretischen Formulierung der Mechanik [1] gelang Werner Heisenberg während eines Aufenthalts auf der Insel Helgoland der Durchbruch. In seiner 1925 veröffentlichten berühmten Arbeit führte er die quantenmechanischen Größen ein, die an die Stelle der klassischen Variablen Ort, Impuls etc. treten und postulierte die Rechengesetze für diese Größen [2]. Born und sein Assistent Pascual Jordan in Göttingen erkannten darin die Regeln der Matrizenrechnung und bauten den Formalismus weiter aus [3]. In der „Drei-Männer-Arbeit“ von 1926 erweiterten Born, Heisenberg und Jordan die Theorie auf Systeme mit vielen Freiheitsgraden [4]. Hier findet sich insbesondere in einem von Jordan geschriebenen Kapitel die Quantisierung des elektromagnetischen Feldes, also der Beginn der Quantenfeldtheorie. Die Arbeit befasst sich auch ausführlich mit dem quantenmechanischen Drehimpuls, der bei der Deutung der Atomspektren eine wichtige Rolle spielt. Die Autoren fanden die algebraischen Beziehungen zwischen den drei Komponenten Li des Drehimpulses, deren Multiplikation von der Reihenfolge der Faktoren abhängt. Ausgehend von dieser „Drehimpuls-Algebra“
[L1, L2] = iħ L3, und zyklisch vertauscht, zeigten sie, dass das Quadrat L→2 des Drehimpulses Werte von der Form ħ2 l(l + 1) annehmen kann. Hierin ist ħ = h/2π das „reduzierte“ Plancksche Wirkungsquantum h, und die Quantenzahl l kann, wie oben gesagt, ganzzahlige und halbzahlige Werte annehmen. (...)
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