Strahlentherapie macht Schritt in die Zukunft
Neue Modulatortechnik soll Flash-Bestrahlung fit für die klinische Anwendung machen.
Es ist ein wichtiger Schritt, um die künftigen Behandlungsmethoden im Kampf gegen den Krebs zu erweitern: Das GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung, die Technische Hochschule Mittelhessen (THM) und die Firma Varian, ein Siemens Healthineers Unternehmen aus Palo Alto, Kalifornien, wollen gemeinsam die medizinisch-technischen Entwicklungen im Bereich der Flash-Therapie vorantreiben und den Weg in die klinische Anwendung weiter ebnen. Dazu wurde eine Vereinbarung zwischen den drei Beteiligten geschlossen.
Die Zusammenarbeit hat das Ziel, den Einsatz neuester Technologien für die Patientenbestrahlung mit ultrahohen Flash-Dosisraten zu ermöglichen. Das Thema Flash-Bestrahlung steht aktuell weltweit stark im Fokus und ist auch ein Arbeitsschwerpunkt innerhalb der Abteilung GSI-Biophysik, die von Marco Durante geleitet wird. Das Flash-Verfahren ist eine neue, vielversprechende Möglichkeit der experimentellen Strahlentherapie. Es geht um eine ultrakurze und hoch dosierte Bestrahlung.
Bei der traditionellen Strahlentherapie sowie bei der Protonen- und Ionentherapie werden den Erkrankten über einen Zeitraum von einer Minute oder länger die Strahlendosen verabreicht, während Flash-Bestrahlungen so angewandt werden, dass sie in nur wenigen hundert Millisekunden oder sogar kürzer erfolgen. Flash könnte in Zukunft potenziell die Nebenwirkungen im gesunden Gewebe reduzieren und damit das therapeutische Fenster vergrößern. Der Vorteil von Flash-Bestrahlungen wurde in vielen präklinischen Studien signifikant nachgewiesen, insbesondere für Elektronenstrahlung. Allerdings ist der hoffnungsträchtige Effekt aus strahlenbiologischer Sicht noch nicht vollständig verstanden.
Um eine solche Flash-Bestrahlung durchzuführen – also eine hohe Strahlendosis in sehr kurzer Zeit zu applizieren –, müssen die klinischen Beschleuniger mit der höchsten Intensitätsstufe betrieben werden, damit sie die nötige Dosisleistung bereitstellen können. Doch hierbei gibt es eine entscheidende Herausforderung: Üblicherweise wird bei der Partikeltherapie das Rasterscan-Verfahren eingesetzt, eine Bestrahlungsmethode, bei der die Strahlen in ihrer Intensität präzise moduliert und mit schnellen Magneten exakt über den Tumor geführt werden, eine Technologie, die am GSI Helmholtzzentrum in den Neunzigerjahren entwickelt wurde. Zusätzlich wird dabei die Energie variiert, denn wie weit er ins Gewebe eindringt, hängt von der jeweiligen Energie des Strahls ab. Mit dieser Methode kann das Tumorvolumen maßgeschneidert und millimetergenau behandelt werden. Doch dieses Verfahren ist aus Zeitgründen bei der Flash-Bestrahlung nicht möglich; eine Multi-Energie-Rasterabtastung würde viel zu lange dauern. Hier setzt die aktuelle Forschung von GSI/FAIR, THM und Varian an.
Die Beteiligten nehmen dabei die Flash-Therapie mit Protonen in den Fokus. Ziel der Zusammenarbeit ist die Entwicklung und Validierung eines neuen klinischen Workflows. Statt des Raster-Scannings mit seinen etwa dreiißig bis sechzig verschiedenen Energieschritten wird nur ein einziger Energieschritt verwendet. Damit die Bestrahlung trotzdem an das Tumorvolumen angepasst werden kann, wird ein patientenindividueller 3D-Reichweitenmodulator („3D-RM“) eingesetzt, um ein vergleichbares Ergebnis – jedoch in viel kürzerer Zeit im Millisekundenbereich – zu erzielen.
Dieser relativ kompakte 3D-RM wird mit hochqualitativen 3D-Druckern hergestellt, ist für die jeweilige Tumorform optimiert und besteht aus vielen pyramidenförmigen Grundstrukturen, die alle eine mikroskopisch genau definierte Form haben. Der Reichweitenmodulator wird für jeden Patienten individuell hergestellt und in der Strahlführung vorgeschaltet, bevor die Teilchen auf den Körper treffen. So kann die gewünschte Tumor-angepasste Verteilung der Dosis erfolgen. In den kommenden zwei Jahren werden die Forschungsteams mit Varian daran arbeiten, diesen Ablauf wissenschaftlich-technisch zu etablieren und zu optimieren.
Uli Weber, Technischer Projektleiter aus der GSI-Biophysik, ist sehr glücklich über die neue Kooperation mit Varian. „Was für mich in der Hauptsache zählt, ist die neue Modulatortechnik in die klinische Anwendung zu bringen. Und hier ist Varian der ideale Kooperationspartner, weil sie der Weltmarktführer in der Strahlentherapie sind und Flash, sobald es sicher eingesetzt werden kann, möglichst früh in klinischen Studien mit ausgewählten Einrichtungen weiter testen wollen.“
Gemeinsam mit der wissenschaftlich-technischen Seite hat auch die GSI-Stabsstelle Technologietransfer, die von Tobias Engert geleitet wird, die neue Kooperation ausgestaltet. Das Ziel ist es, dass die innovativen Ideen und Technologien, die bei GSI/FAIR entstehen, in die Anwendung überführt werden. Dafür bündelt die Stelle alle für den Transfer maßgeblichen Kompetenzen und Unterstützungsleistungen. Bei der aktuellen Kooperation von GSI, THM und Varian ist Technologietransfer-Managerin Alicja Surowiec für diese administrative Projekt-Koordination zuständig, Uli Weber und Christoph Schuy für die wissenschaftliche Projekt-Koordination und Durchführung bei GSI.
Seitens der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) ist die Arbeitsgruppe von Klemens Zink verantwortlich für das Projekt. Bereits in den letzten fünf Jahren hat er gemeinsam mit seinen Doktoranden und mit Uli Weber von der GSI an der Weiterentwicklung und praktischen Umsetzung der Idee des Reichweitenmodulators gearbeitet und freut sich nunmehr, dass diese Ideen ihren Weg in die klinische Anwendung finden. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang insbesondere die Arbeiten seines Doktoranden Yuri Simeonov, der die Grundlagen für den klinischen Einsatz des Modulators erarbeitet hat und für seine Arbeiten bereits mehrfach ausgezeichnet worden ist.
Der Wissenschaftliche Geschäftsführer von GSI und FAIR, Paolo Giubellino, zeigte sich hocherfreut von der neuen Kooperation: „Wir sind sehr stolz, dass wir gemeinsam mit einem weltweit so renommierten Unternehmen wie Varian die Strahlentherapie weiter voranbringen können. Diese internationale Vereinbarung schlägt den Bogen zwischen Forschungsinstitution, Hochschule und Wirtschaft und ermöglicht damit eine äußerst fruchtbare Kooperation mehrerer starker Verbündeter. Die Förderung dieser Technologietransfer-Brücke von der Grundlagenwissenschaft zur Industrie ist eine unserer grundlegenden Aufgaben als Forschungseinrichtung. Hier kommen Expertise in Biophysik und Medizin sowie ingenieurstechnische Spitzenleistung auf vielversprechende Weise zusammen. Neue Anwendungen in der Tumortherapie sind eines der Forschungsgebiete, die von den kürzlich erhöhten Strahlintensitäten der GSI-Beschleuniger und von den unerreichten Strahlintensitäten der im Bau befindlichen FAIR-Anlage besonders profitieren können.“
GSI / DE
Weitere Infos
- Ionenstrahlen im Kampf gegen Krebs, GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung
- O. Kester et al.: Die Universalmaschine auf Kurs, Physik Journal 11(1) 2012, S. 31
- K. Parodi & W. Assmann: Hadronen gegen Krebs – Das Potenzial der Strahlentherapie mit Hadronen ist längst noch nicht ausgeschöpft, Physik Journal 18(6) 2019, S. 35