16.01.2013

Strukturbestimmung von Makromolekülen in lebenden Zellen

Neue Elektronenspinresonanz-Methode ermöglicht dank hoher Empfindlichkeit die Untersuchung von Molekülen im biologisch relevanten Milieu.

Ein Verbund von Chemikern, Biologen und Physikern der Universität Konstanz entwickelte eine innovative Methode, um die Strukturen von biologischen Makromolekülen wie Proteine oder DNA in Zellen zu untersuchen. Über Abstandsinformationen im Nanometerbereich gewinnen die Forscher direkte Informationen über die dreidimensionale Struktur der Molekül-Riesen in der komplexen Umgebung innerhalb von Zellen. Die neue Methode zeichnet sich durch ihre hohe Sensitivität aus, eignet sich insbesondere für die Untersuchung der Struktur polymorpher Makromoleküle und könnte eine Rolle bei der Erforschung der Parkinsonschen Krankheit spielen. Die Methodenentwicklung fand in enger Kopplung an die Konstanzer Graduiertenschule Chemische Biologie statt.

Abb.: Über Abstandsinformationen im Nanometerbereich gewinnen Konstanzer Forscher direkte Informationen über die dreidimensionale Struktur von Makromolekülen innerhalb von Zellen. Zellen des Glatten Krallenfroschs boten eine ideale Grundlage für die Entwicklung der hochsensitiven Analysemethode. (Bild: M. Wassmer)

Hoch aufgelöste Strukturbilder von Makromolekülen, die unsere Vorstellung von der Gestalt dieser Moleküle prägen, werden durch Röntgenstrukturanalyse und Kernspinresonanz-Spektroskopie erzeugt, entweder in kristalliner Form oder hoch konzentriert im Reagenzglas. Um die Struktur der Makromoleküle unter dem Einfluss der biologisch relevanten zellulären Umgebung zu untersuchen, entwickelten die Forschergruppen von Daniel Dietrich, Jörg Hartig und Malte Drescher eine innovative Methode auf Grundlage der Elektronenspinresonanz-Spektroskopie (ESR-Spektroskopie).

Mittels ortsspezifischer Spinmarkierung werden Spin-Sonden am zu untersuchenden Makromolekül angebracht. Für die intrazelluläre ESR-Spektroskopie werden die spinmarkierten Moleküle durch eine Mikroinjektion in das Cytoplasma eingebracht. „Ideal für diesen Zweck sind Zellen des Glatten Krallenfroschs, da aufgrund ihrer Größe nur wenige Zellen für ein ESR-Experiment benötigt werden“, erläutert Daniel Dietrich. Spektroskopisch wird nun der Abstand zwischen den Spin-Sonden gemessen. „Die Grundlage der Abstandsmessungen im Nanometerbereich ist die Dipol-Dipol-Wechselwirkung zwischen den Spin-Sonden, die von ihrem Abstand abhängt. Über diese Abstandsinformation gewinnen wir eine direkte Strukturinformation“, verrät Malte Drescher das Schlüsselprinzip.

Die zwei wesentlichen Vorteile der neuen Methode sind ihre hohe Empfindlichkeit, die es erlaubt, niedrige Konzentrationen zu verwenden, sowie die Tatsache, dass allein das Signal der Spin-Sonden gemessen wird. Dadurch funktioniert die Methode selbst innerhalb von Zellen praktisch ohne Hintergrundrauschen.

Insbesondere für die Untersuchung der Struktur polymorpher Makromoleküle ist die intrazelluläre ESR-Spektroskopie von Bedeutung. Als erstes Anwendungsbeispiel wählten die Konstanzer Forscher Quadruplexe menschlicher Desoxyribonukleinsäure (DNA) – viersträngige Nukleinsäurestrukturen, die im Gegensatz zur berühmten DNA-Doppelhelix eine Vielzahl von Konformationen aufweisen. „Gleichzeitig spielt die Bildung von Quadruplexen innerhalb der Telomere am Ende des Chromosoms eine wichtige Rolle für dessen Schutz und für die Regelung des Zellzyklus“, so Jörg Hartig. Für ein intrazelluläres ESR-Experiment wurde eine menschliche Telomer-Sequenz ortsspezifisch spinmarkiert. Die ungefaltete Sequenz wurde in lebende Zellen injiziert. Nach einer Inkubationszeit von 15 Minuten konnten zwei koexistierende Konformationen nachgewiesen werden. Dies eröffnet die Möglichkeit, spezifische Molekülkomplexe zu entwickeln, die unter anderem vielversprechende Ansätze für die Krebsbekämpfung bieten.

„Diese neuartige Methode stellt ein wichtiges Bindeglied zwischen der „klassischen“ molekularen Biophysikalischen Chemie und der Systembiologie dar“, freut sich Malte Drescher, Fellow des Zukunftskollegs an der Universität Konstanz.

Die Wissenschaftler wollen ihre Methode nun in weiteren Schritten für die Erforschung von molekularen Strukturen in Zellen einsetzen: „Unsere Vorstellung ist, dass wir künftig auf Basis unserer Methode Proteine, die bei der Parkinsonschen Krankheit eine Rolle spielen, innerhalb der Zelle untersuchen wollen“, eröffnet Malte Drescher einen Ausblick auf die Fortführung der Forschungsarbeiten.

U Konstanz / DE

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