Bedeutung und Begriffsgeschichte
Bartels
Bedeutung und Begriffsgeschichte
Von A. Bartels.
Schöningh, Paderborn 1994. 350 S., kart.,
ISBN 3-506-70582-2
Wissenschaftsphilosophen haben es nicht leicht. Auf der einen Seite wirft man ihnen vor, ihre Arbeiten seien für die aktuelle Forschungspraxis irrelevant (H. Primas: "mit Allquantoren versehene Mittelstufenphysik"). Auf der anderen Seite geraten sie allzu schnell zwischen die Fronten von unbefangen spekulierenden Physikern und den professionellen Ansprüchen der hochentwickelten modernen Semantik und Sprachphilosophie.
Dieses Buch über die Bedeutung physikalischer Begriffe und ihren Wandel zeigt, wie man als ehrlicher Makler dennoch Praxisbezug und höchstes wissenschaftstheoretisches Niveau verbinden kann. Seit einiger Zeit ist klar, daß Begriffe nicht allein durch Meßvorschriften zu ihrer Bedeutung kommen. Neuere holistische Ansätze betonen dagegen den radikalen Bedeutungswandel so sehr, daß z. B. klassische und relativistische Mechanik kaum noch vergleichbar erscheinen und unklar wird, wie in der Physik überhaupt noch Fortschritt möglich ist.
Der Autor setzt dieser sog. Inkommensurabilitätsthese in einer prägnanten Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Bedeutungstheorien seine eigene Konzeption entgegen: Wissenschaftliche Begriffe erhalten ihre Bedeutung wesentlich dadurch, daß sie in Vorgängertheorien "eingebettet" werden. Theorien der Vergangenheit sind deshalb auch zum Verständnis der Begriffe in gegenwärtig akzeptierten Theorien entscheidend. Diese These wird mit anspruchsvollen Beispielen belegt, so durch eine fast hundert Seiten lange Rekonstruktion der Entropiebegriffe von Clausius über Boltzmann und Gibbs bis hin zu neueren Anwendungen in der Kosmologie und Informationstheorie. Ähnlich umfassend und kenntnisreich werden die Schwarzschild-Masse und die Vorschläge zur Definition einer relativistischen Temperatur analysiert, wobei deutlich wird, wie die unterschiedlichen Begriffskonstruktionen vom jeweiligen Theorieverständnis abhängen.
Die Details des ersten Kapitels wird man vermutlich nur dann schätzen, wenn man die einschlägige Debatte in der analytischen Philosophie kennt. Mit den folgenden physiknahen Fallbeispielen wartet aber auf alle, die es auch bei den begrifflichen Grundlagen der Thermodynamik und der Relativitätstheorie genau wissen wollen, eine spannende, lehrreiche und für Unterricht und Verständnis aktueller Probleme gleich nützliche Lektüre.
M. Stöckler, Bremen
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