Lise Meitner - Max von Laue Briefwechsel 1938 - 1948
J. Lemmerich (Hrsg.). Berliner Beiträge zur Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik, Bd. 22, ERS-Verlag, Berlin 1998. 560 S., 4 Abb., ISBN 3-928577-32-8
Lemmerich
Lise Meitner (1878-1968) und Max von Laue (1879-1960) waren gute Freunde, obwohl ihre wissenschaftlichen Arbeitsgebiete kaum Berührungspunkte aufwiesen: Meitner war Experimentalphysikerin, ihre Hauptarbeitsgebiete waren Radioaktivität, Kernphysik und Kernspaltung. Laue dagegen war Theoretiker, dessen Forschungen unter anderem auf dem Gebiet der Optik, Röntgenbeugung (wofür er 1914 den Nobelpreis bekam) und Supraleitung lagen.
Im Dritten Reich trafen sich beide regelmäßig zu langen Gesprächen in Meitners Labor am KWI für Chemie in Dahlem; nach der Flucht Lise Meitners aus Deutschland im Sommer 1938 war Laue der beständigste Korrespondenzpartner Meitners und - wie sie später einmal festgestellt hat - ihr treuester Freund gewesen. Die vorliegende Publikation enthält den Briefwechsel aus den Jahren 1938 bis 1948 - fast 400 Briefe und Karten.
Der Briefwechsel ist ein intensiver Dialog zweier Persönlichkeiten von außergewöhnlicher Integrität, deren Freundschaft die geographische und auch zeitweilige emotionale Distanz überstand. Meitner berichtet relativ zurückhaltend über ihre Isolation im schwedischen Exil. Laue schreibt häufiger und schildert die Verfolgung der Juden und die Zerstörung Deutschlands. Sein Bericht über die letzten Tage Arnold Berliners, des Gründers und Herausgebers der "Naturwissenschaften", der sich der Deportation durch Selbstmord entzog, und auch seine weitgehend verschlüsselten Anspielungen auf die Folterungen und die Hinrichtung von Plancks Sohn Erwin (1944/45) gehen einem auch heute noch nah; nicht weniger beeindruckend die Berichte über andere Zeitereignisse.
Allerdings wird die Lektüre der beeindruckenden Briefe durch Lemmerichs zuweilen etwas nachlässige Editionsarbeit beeinträchtigt. Diese versorgt den Leser zwar mit zusätzlichen Anmerkungen, gelegentlich auch mit historischem Hintergrundwissen sowie mit den Kurzbiographien von Meitner und Laue, doch haben sich dabei eine Fülle von Fehlern eingeschlichen: falsche Namen (z.B. Hans statt Heinrich Welker (S. 190), Carl statt Gudmund Borelius (S. 118), Ursberg statt Urfeld (S.442)), zahlreiche historische Inkorrektheiten und Fehldatierungen (z.B. war Stefan Meyer sechs Jahre älter und nicht jünger als Lise Meitner (S. 15); auch übernahm diese ihre eigene Abteilung am KWI bereits 1917 und nicht erst 1924 (S. 15)) und nicht zuletzt unzählige Schreib- und Druckfehler.
Besonders ärgerlich ist, daß der wissenschaftliche Kontext in einigen Fällen fehlerhaft oder nur unzureichend dargestellt ist. Letzteres insbesondere was Lise Meitner betrifft. So führt Lemmerich zwar die jüngeren biographischen Studien zu L. Meitner auf (auch ist ihm der Inhalt des Meitner-Nachlasses im Archiv des Churchill-Colleges in Cambridge gut bekannt), doch behandelt er nur dürftig Meitners inzwischen gut dokumentierte Rolle bei der Entdeckung der Uran-Kernspaltung sowie ihre theoretischen Arbeiten dazu mit Otto Robert Frisch im Winter 1938/39. Die Tatsache, daß aus diesen Wochen keine Briefe Meitners vorliegen, wird von Lemmerich lediglich mit einem späteren Briefauszug Meitners an ihre Berliner Freundin E. Schiemann kommentiert, der ihre Heimatlosigkeit und Isoliertheit in Schweden dokumentiert. Es wird an dieser Stelle unverständlicherweise nicht darauf hingewiesen, daß sie in jenen Tagen durch die Arbeiten zur Kernspaltung voll absorbiert war und in einem intensiven Briefwechsel mit Otto Hahn und Frisch stand. Dies ist speziell im Falle Meitners nicht hinzunehmen, da eine solche Mißachtung vorliegender Dokumente die übliche Nichtwürdigung von Lise Meitners Rolle bei der Entdeckung der Kernspaltung perpetuiert.
Trotz solcher editorischer Mängel ist der Briefwechsel selbst ein reiche Sammlung, die nicht nur den Historiker, sondern jeden Leser interessieren wird.
Prof. Ruth Lewin Sime, Department of Chemistry, Sacramento City College, Sacramento, USA
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