Quantum – Tödliche Materie
Patrick Illinger: Quantum – Tödliche Materie, dtv, München 2020, broschiert, 448 S., 16,90 €, ISBN 9783423262606
Patrick Illinger
Neutrinos sind gewissermaßen die sanftesten Elementarteilchen: Elektrisch neutral, fast ohne Masse und nur der schwachen Wechselwirkung unterworfen durchdringen sie in jeder Sekunde milliardenfach nahezu ungehindert die Erde. Lässt sich aus ihnen dennoch eine völlig neuartige Superwaffe bauen? Viele Physiker würden hier wohl antworten: Niemals! Wie auch?
Doch genau darum geht es in Patrick Illingers Thriller. Der Autor leitete von 2002 bis 2020 das Ressort „Wissen“ der Süddeutschen Zeitung. 1994 hat er am Europäischen Forschungszentrum CERN promoviert und kennt die Welt der Elementarteilchenphysik. Der Forscher Nicola Caneddu wird im Roman unversehens zur zentralen Figur. Eben saß er noch in einem Münchner Biergarten; im nächsten Moment wird er brutal gekidnappt. Mit einer Journalistin und einem Ex-Elitesoldaten gerät er in einen immer gefährlicheren Strudel von Ereignissen – samt Verfolgungsjagden durch einen geheimen Tunnel am CERN, Explosionen in den USA und im Iran sowie einem Showdown in einem heiligen Tempel und auf einem Raketengelände in Südindien.
„Quantum“ lässt sich als rasanter Actionthriller im Stil eines Marc Elsberg oder Dan Brown lesen, inklusive der Verwicklungen von Geheimdiensten, Militärs, Journalisten und Forensikern. Für Naturwissenschaftler bietet das Buch einiges mehr: Vor allem Physikerinnen und Physiker werden ihren Spaß an den intelligenten Gedankenspielen rund um Neutrinos und Beschleuniger, Strangelets, Neutronensterndichten und Quark-Gluon-Plasmen haben.
Mit detektivischem Spürsinn kommen Caneddu und seine Begleiter der Aufklärung des Rätsels um die innovative Superwaffe immer näher. Dabei bietet Illinger einige verblüffende Wendungen, die Realität und Fiktion neu kombinieren. So klärt er zum Beispiel en passant, wie Nordkoreas Machthaber zu Atomwaffen kamen, die dann doch wieder keine sind. Und er löst einen echten Jahrhundert-Krimi: Was wurde aus dem genialen Elementarteilchenphysiker Ettore Majorana, der 1938 unter mysteriösen Umständen in Italien verschwand?
Auch wenn manche Twists nicht ganz stimmig erscheinen und die Psychologie der handelnden Personen mitunter etwas holzschnittartig gerät: Es lohnt sich, Illingers Erstling zu lesen – schon deshalb, weil das Buch dazu anregt, eingerostetes Wissen über Elementarteilchen wieder einmal auf den neuesten Stand zu bringen. Politisch Interessierte werden sich vielleicht dabei ertappen, dass sie die Motive des „Mastermind“ hinter der Entwicklung der Superwaffe nicht allzu sehr verurteilen können: Wäre dies Realität, würde es die Weltpolitik auf eine ganz neue Grundlage stellen.
Dr. Ulrich Eberl
