07.08.2013

Welteis

Christina Wessely: Welteis, Matthes & Seitz, Berlin 2013, 384 S., geb., 29,90 Euro, ISBN 9783882219890

Christina Wessely

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Die Welteislehre (kurz WEL), die der Maschineningenieur Hanns Hörbiger im Jahre 1894 „intuitiv“ ersonnen hat, gehört mit der Hohlwelttheorie wohl zu den bekannteten Pseudowissenschaften. Die Wissenschaft quittierte die „Glazialkosmologie“ zumeist mit Nichbeachtung. Das schreckte ihre Anhänger und Propangandisten jedoch nicht ab. Im Dritten Reich diente sich die WEL, ihr Schöpfer war inzwischen gestorben, schließlich den Nationalsozialisten an und fand in Heinrich Himmlers „Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe“ eine Heimstatt.

Die WEL ging davon aus, dass das Universum zu großen Teilen aus gefrorenem Wasser zusammengesetzt sei. Aus dem Widerstreit von „Eis und Glut“ versuchte Hörbiger mit seinen Mitstreitern, darunter der Mondbeobachter Philip Fauth und der Raketenpionier Max Valier, schlechterdings alles im Universum zu erklären. So sollte vor Millionen von Jahren im Sternbild Taube ein Riesenstern mit der millionenfachen Masse der Sonne existiert haben, in die ein riesiger Brocken, der größtenteils aus Wassereis bestand, eindrang. Als Folge eines gigantischen Siedeverzugs entstanden u. a. unser Sonnensystem und eine „Eismilchstraße“ in dreifacher Entfernung des Planeten Neptun. Hörbiger ignorierte gesicherte Erkenntnisse und behauptete sogar, dass die Schwerkraft nur eine räumlich begrenzte Wirkung hat.

Die Historikerin Christina Wessely erzählt die schillernde Geschichte dieser kosmologischen Theorie – allerdings nicht „erstmals“, wie der Klappentext behauptet. Das hat Bettina Nagel mit ihrem Buch zur Welteislehre und ihrer Rolle im „Dritten Reich“ bereits 1991 geleistet. Wessely bereitet das Thema aber ausführlicher auf und spannt den thematischen Bogen weiter, indem sie den Nährboden der WEL näher beleuchtet, die Bemühungen anderer „Welterklärer“ behandelt und die Frage nach der Grenze zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft aufwirft. Im Falle der Welteislehre zeigt sich bei der Lektüre von Wesselys gut lesbaren Buch sehr deutlich, wie sehr Hörbiger und seine Anhänger die äußerlichen Konventionen der Wissenschaft, etwa durch ein Institut und eigene Periodika, imitierten, ohne jedoch irgendwie wissenschaftlich rational zu arbeiten. Ein bisschen schade ist, dass Wessely nicht auch den Bogen in die Jetztzeit spannt, denn ihr gut lesbares Buch ist ein Lehrstück, das auch für den Umgang mit modernen Pseudowissenschaften relevant ist.

Alexander Pawlak

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