Blick in die turbulente Vergangenheit
Beobachtungen mit ALMA zeigen heftigste Sternentstehungsphasen vor zwölf Milliarden Jahren.
Die Sternentstehung verläuft in Schüben. Während eines solchen „Starbursts“ setzen Galaxien mit hoher Geschwindigkeit gewaltige Mengen von kosmischem Gas und Staub in neue Sonnen um. Ein Blick weit hinaus in die Tiefen des Universums und damit gleichzeitig zurück in dessen Vergangenheit erfasst Galaxien, deren Licht viele Milliarden Jahre unterwegs ist, ehe es die Erde erreicht. Auf diese Weise erhalten die Astronomen Zugang zur stürmischen Jugend des Alls.
Abb.: Quartett ferner Galaxien: In diesen Bildern sind ALMA-Daten (rot) mit Bildinformationen des Weltraumteleskops Hubble kombiniert. Sie zeigen die fernen Hintergrundgalaxien, die vom Gravitationslinseneffekt verzerrt werden. Ursache dieser Verzerrungen sind Vordergrundgalaxien (Hubble-Daten, blau). Die Hintergrundgalaxien werden zu Lichtbögen verzogen, welche die Vordergrundgalaxien umgeben. (Bild: ESO / NRAO / NAOJ, Y. Hezaveh et al.)
Ein international besetztes Team hatte diese weit entfernten, rätselhaften Galaxien mit starker Sternentstehung zunächst mit dem South Pole Telescope (SPT) entdeckt, eines US-amerikanischen 10-Meter-Radioteleskops am Südpol. Anschließend beobachteten die Forscher die Region mit dem Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA). Danach lassen sich die höchsten Geburtsraten unter den Sternen um mindestens eine Milliarde Jahre früher verzeichnen als bisher angenommen.
„Je weiter so eine Galaxie entfernt ist, desto weiter schauen wir zurück in die Vergangenheit“, sagt Joaquin Vieira vom California Institute of Technology in den USA, der Leiter des Forschungsprojekts. „Damit können wir eine Zeitleiste zusammenfügen, die uns zeigt, mit welcher Heftigkeit das Universum im Verlauf seiner inzwischen fast 14 Milliarden Jahre dauernden Geschichte neue Sterne gebildet hat.“
Zur Überraschung der Astronomen stehen viele dieser staubreichen Galaxien mit hoher Sternentstehungsrate in noch größerer Entfernung als erwartet. Demnach ereigneten sich die heftigsten Sternentstehungsausbrüche im Schnitt vor zwölf Milliarden Jahren, als das All noch keine zwei Milliarden Jahre alt war.
Abb.: Gebogener Strahlengang: Die schematische Darstellung zeigt, wie sich der Lichtweg einer fernen Galaxie im Schwerefeld einer näher gelegenen Vordergrundgalaxie verändert, die als Linse fungiert und so die ferne Galaxie heller, aber verzerrt aussehen lässt. (Bild: ESO / NRAO / NAOJ, L. Calçada, Y. Hezaveh et al.)
Zwei der beobachteten Galaxien sind die am weitesten entfernten Vertreter ihrer Art und tatsächlich so weit weg, dass die heute von ihnen beobachtete Strahlung ihre Reise begann, als der Kosmos noch keine Milliarde Jahre alt war. Darüber hinaus wiesen die Astronomen in einer dieser rekordverdächtigen Galaxien Wassermoleküle nach: das entfernteste Wasser, das sich jemals beobachten ließ.
„Die Empfindlichkeit von ALMA und der große Wellenlängenbereich, den wir gleichzeitig erfassen können, bedeutet für uns, dass wir für jede Galaxie nur wenige Minuten Messzeit benötigen – das ist hundert Mal schneller, als das vorher möglich war“, sagt Axel Weiß vom Bonner Max-Planck-Institut für Radioastronomie, der das Projekt zur Entfernungsbestimmung geleitet hat. „In den Zeiten vor ALMA bedeutete eine derartige Messung einen ziemlich zeitaufwändigen Prozess, bei dem Beobachtungsdaten von optischen und von Radioteleskopen miteinander verknüpft werden mussten.“
Bei den meisten Galaxien ließ sich die Entfernung allein über die ALMA-Beobachtungen ermitteln, in einigen Fällen kombinierte das Team die ALMA-Daten aber noch zusätzlich mit Messungen von anderen Teleskopen, darunter auch das Atacama Pathfinder Experiment (APEX) und das Very Large Telescope (VLT) der ESO.
Abb.: Antennen unterm Sternenzelt: ALMA, eingetaucht in rotes Licht. Im Hintergrund erkennt man links die südliche Milchstraße, oben die Magellanschen Wolken. (ESO/C. Malin)
Für diese Studie haben die Astronomen nur einen Teil von ALMA genutzt, nämlich 16 der insgesamt 66 großen Antennenschüsseln; die Anlage, 5000 Meter über dem Meeresspiegel auf dem abgelegenen Chajnantor-Plateau in den chilenischen Anden gelegen, befand sich zu der Zeit noch im Bau.
Um präzise nachvollziehen zu können, wie stark der Gravitationslinseneffekt die Galaxien aufgehellt hat, haben die Wissenschaftler zusätzliche ALMA-Beobachtungen bei Wellenlängen um die 0,9 Millimeter vorgenommen, die besonders scharfe Aufnahmen geliefert haben. „Diese wunderschönen ALMA-Bilder zeigen uns, wie die Hintergrundgalaxien sich zu Lichtbögen verformen, die die Vordergrundgalaxien umgeben“, erklärt Yashar Hezaveh von der McGill University im kanadischen Montreal, der die Studie zum Gravitationslinseneffekt geleitet hat. „Wir verwenden sozusagen die gigantischen Mengen Dunkler Materie, welche die Galaxien überall im Universum umgibt, als kosmische Teleskope. Dadurch erscheinen die Systeme größer und heller.”
Die Analyse der Verzerrungen hat ergeben, dass einige der fernen Starburstgalaxien bis zu 40 Billionen mal so hell leuchten wie unsere Sonne. Hinzu kommt ein Verstärkungseffekt um einen Faktor von mehr als zwanzig. „Bisher ließen sich nur wenige Galaxien, bei denen der Gravitationslinseneffekt eine Rolle spielt, bei Submillimeterwellenlängen nachweisen. Aber jetzt haben das SPT und ALMA gleich mehrere Dutzend davon ausfindig gemacht”, sagt Carlos De Breuck von der ESO. Diese Art von Untersuchungen seien bisher hauptsächlich im sichtbaren Licht durchgeführt worden, etwa mit dem Weltraumteleskop Hubble. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass ALMA auf diesem Gebiet eine Menge zu leisten vermag.”
MPG / AH