Das Geflecht der Neuronen im Detail
So viele dendritische Dornen einer Nervenzelle wie noch nie gleichzeitig detailliert betrachtet.
Hochauflösende Mikroskopie-Aufnahmen ermöglichen einzigartige Einblicke in Hirnzellen und können künftig zum besseren Verständnis von Lern- und Erinnerungsprozessen beitragen: Marcel Lauterbach, Juniorprofessor für Molekulare Bildgebung an der Universität des Saarlandes, konnte erstmals fast alle dendritischen Dornen einer Nervenzelle gleichzeitig detailliert sichtbar machen. Er konnte dabei nachweisen, dass diese feinen Ausstülpungen nicht auf jedem Zellausläufer gleich wachsen und auch nicht zufällig auf ihnen verteilt sind. Vielmehr stellte er verschiedene Anordnungen der fünf Typen dendritischer Dornen fest.
Das Gehirn ist nach wie vor ein Mysterium. Weltweit forschen Wissenschaftler an seinen Geheimnissen und doch sind die weitaus meisten Abläufe und Zusammenhänge in diesem komplexesten aller Organe nahezu unbekannt. Baustein um Baustein tragen neue Erkenntnisse bei, den Mechanismen, die etwa dem Gedächtnis zugrunde liegen, auf die Spur zu kommen. Einen solchen Baustein steuert jetzt der Physiker Marcel Lauterbach von der Universität des Saarlandes bei: mit scharfen Bildern der Dornen, die auf den astartigen Verzweigungen der Hirn-Nervenzellen, den Dendriten, wachsen. Noch nie zuvor konnten so viele dieser dendritischen Dornen einer einzelnen Nervenzelle gleichzeitig derart detailliert betrachtet werden. Dieser Einblick in den Mikrokosmos der Gehirnzellen könnte helfen, besser zu verstehen, wie Nervenzellen untereinander kommunizieren und dabei Informationen austauschen oder speichern – also wie Gedächtnis funktioniert.
Bereits bekannt ist, dass die Dornen eine große Rolle spielen, wenn Informationen zur nächsten Zelle weitergeleitet und gespeichert werden. Hierbei bilden sich zwischen den Gehirn-Nervenzellen Verbindungen, die Synapsen: Und dabei wachsen auf den Dendriten, die sich vom Zellkörper aus verästeln und den Kontakt zu anderen Zellen herstellen, die Dornen. Tausende sind es in einer einzelnen Nervenzelle. Im Wesentlichen gibt es fünf verschiedene Arten, von stummelig klein und pilzförmig über dünne Fäden mit runden Köpfchen bis hin zu verzweigten Exemplaren - die Übergänge sind fließend.
Marcel Lauterbach konnte mittels hochauflösender Mikroskopie zeigen, dass dabei nicht auf jeder der Zellverästelungen dieselben Dornen wachsen. „Sie sind nicht zufällig auf den Nervenzellen verteilt, sondern auf einigen Dendriten sitzen mehr der einen Sorte und auf anderen mehr einer anderen Sorte“, erklärt der Spezialist für Molekulare Bildgebung. Kann man im Mikrokosmos der Gehirn-Nervenzelle nun die Dornen und ihre Verteilung genau und von allen Seiten betrachten, könnte dies helfen, besser zu verstehen, warum sie so verteilt sind, und man könnte auch mehr über ihre verschiedenen Formen und Funktionen herausfinden.
Denn was es genau mit den Dornen auf sich hat, liegt bislang im Dunkeln – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Bei optischen Mikroskopen ist ab einem fünftel Mikrometer Schluss – mehr vergrößern geht nicht. Die Details der Dornen lassen sich mit optischen Mikroskopen nicht auflösen. Sie sind einfach zu klein. Und damit ist auch die genaue Form der Dornen nicht erkennbar.
„Es galt noch vor einigen Jahren als unmöglich, optisch aufzulösen, was kleiner ist als die Beugungsgrenze, also die Hälfte der Wellenlänge des Lichts – das galt bis zur Entwicklung der STED-Mikroskopie“, sagt Marcel Lauterbach. Die STED-Mikroskopie überschreitet die Grenze dessen, was als machbar galt. Marcel Lauterbachs Doktorvater, Stefan Hell, erhielt hierfür 2014 den Nobelpreis für Chemie. Lauterbach arbeitete in Stefan Hells Arbeitsgruppe. Mit dieser hochauflösenden Mikroskopie ist es Marcel Lauterbach gelungen, die präzisen Aufnahmen der dendritischen Dornen auf Hirnnervenzellen zu machen.
„Die STED-Mikroskopie – STED steht für Stimulated Emission Depletion – ist eine Spielart der Fluoreszenzmikroskopie. Mit einem Trick überwindet sie die Beugungsgrenze, sie ist also nicht mehr durch die Beugung des Lichts begrenzt. Mit ihr werden Aufnahmen im molekularen Bereich deutlich schärfer, als man es vorher für möglich gehalten hatte“, erklärt Marcel Lauterbach, der seit 2019 am Centrum für Integrative Physiologie und Molekulare Medizin (CIPMM) auf dem Homburger Medizin-Campus der Universität des Saarlandes forscht. „Mit der STED-Mikroskopie wird es möglich, biologische Prozesse in lebenden Zellen zu beobachten“, sagt Lauterbach, der an der Schnittstelle von Physik, Neurowissenschaften und Medizin arbeitet und darauf spezialisiert ist, Prozesse mittels bildgebender Verfahren sichtbar zu machen. Durch solch einzigartig scharfe Einblicke in den Mikrokosmos können diese Prozesse besser verstanden und etwa krankhafte Veränderungen untersucht werden.
„Die Aufnahmen der STED-Mikroskopie lösen kleinste Details der dendritischen Dornen auf, sie können scharf fokussiert werden“, erklärt Lauterbach, der die Arbeiten an den dendritischen Dornen 2018 noch in Frankfurt am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in der Abteilung von Professor Gilles Laurent begonnen hatte. Dabei wird die Probe, also eine Hirn-Nervenzelle mit den auf ihr sitzenden Dornen, durch Fluoreszenzfarbstoffe eingefärbt. Die dadurch leuchtenden Moleküle werden mit einem ersten Laserstrahl des STED-Mikroskops abgetastet: Weil ein großer Bereich der Probe leuchtet, wäre das Bild, das so entsteht, unscharf. Daher sorgt ein zweiter Laserlichtstrahl, der – das ist der Trick – wie eine Blende in der Mitte ein winziges Loch hat, dafür, dass die Moleküle nur dort leuchten, wo eben dieses kleine Loch ist. Alle anderen Moleküle drumherum bleiben im Dunkeln. So entsteht in der Mitte des zweiten Laserstrahls ein winziger, leuchtend heller Fokus-Punkt, der ein sehr scharfes Abbild eben dieses Punktes der Probe ermöglicht. Mit dem Fokus tastet der „Doppellaserstrahl“ jetzt die gesamte Probe Punkt für Punkt ab: Aus den einzelnen hellen Punkten lässt sich dadurch ein sehr scharfes Bild zusammensetzen.
„Für diese Forschung haben wir die Hirnzellen von Schildkröten untersucht. Der Schildkrötenkortex ähnelt Teilen des Säugetiergehirns, und zwar dem Hippocampus, und dem Riechkolben, die als evolutionär alt gelten. Hier können allgemeine – evolutionär alte – Prinzipien der neuronalen Signalverarbeitung entdeckt und verstanden werden“, erklärt Marcel Lauterbach.
U. Saarland / DE