Ein Türspalt Licht
Manchmal erscheinen hinter Türspalten mehrere helle Streifen. Die Ursache hierfür ist einfach und doch überraschend.
Wenn man mehrere, in verschiedene Richtungen fallende Lichtstreifen oder Schatten sieht, so sind normalerweise mehrere Lichtquellen dafür verantwortlich. In der hier gezeigten Situation (Abbildung 1) gibt es offenbar nur eine Lichtquelle: den Türspalt. Dennoch erkennt man am Boden drei helle und zwei etwas schwächere Lichtstreifen. Öffnet man diese Kirchentür, so blickt man auf einen von der Sonne hell erleuchteten Kirchenvorplatz und findet zunächst keinen Hinweis auf weitere Lichtquellen. Da die Tür nicht von der Sonne bestrahlt wird und im Schatten liegt, erscheinen die Lichtstreifen zunächst wie ein Rätsel.
Abb. 1 Vor einem Türspalt sind auf dem Boden fünf Lichtfächer erkennbar (Foto: H. Schlichting).
Erst wenn man sich vor Augen führt, dass im Grunde jeder beleuchtete Gegenstand selbst Licht aussendet, wird das Phänomen klar: Die von der Sonne erhellten Säulen vor der Kirchentür wirken als eigene Lichtquellen (Abbildung 2). Wie man an den Schatten der Säulen erkennt, werden sie schräg von der linken Seite angestrahlt und reflektieren das Licht diffus in alle Richtungen, also auch in Richtung auf den schmalen Türspalt. Dieser wirkt wie eine schlitzförmige Lochkamera und bildet den der Tür zugewandten Teil der hellen Säulen auf dem Boden und der Wand im dunklen Innern des Kirchenvorraums ab.
Abb. 2 Die seitlich angestrahlten Säulen der Cathédrale St. Pierre in der Altstadt von Genf reflektieren das Licht diffus in alle Richtungen. Die drei links von der Tür stehenden Säulen streuen ihr Licht auch auf den Türspalt (Foto: H. Schlichting).
Drei lichtstarke Streifen, mit demselben Winkelabstand werden von den drei linken Säulen hervorgerufen. Woher das Licht kommt, dass zu den zusätzlichen Lichtstreifen führt, ist nachträglich aus den beiden Fotos nicht zweifelsfrei zu ermitteln. Vermutlich ist hier das Streulicht von weiteren hellen Gegenständen im Spiel, die in Abbildung 2 nicht direkt zu sehen sind.
Obwohl die nicht einmal perfekt weißen Säulen diffus reflektieren und daher nur wenig Licht auf den Türspalt strahlen, erscheint es erstaunlich, wie deutlich die Lichtspuren auf dem Boden des Kirchenvorraums zu sehen sind. Ursache dafür sind der große Helligkeitsunterschied zwischen den hellen Säulen und dem dunklen Vorraum der Kirche sowie die Anpassungsfähigkeit unserer Augen an die unterschiedlichen Lichtverhältnisse. Einen Eindruck davon kann man gewinnen, wenn man von innen kommend die Tür öffnet und auf den hellen Kirchenvorplatz blickt. Man ist zunächst vom Streulicht geblendet, obwohl es nur einen Bruchteil des direkten Sonnenlichts darstellt.
In einem einfachen Freihandversuch lässt sich die Situation überzeugend nachstellen. Dazu braucht man eine Tür, die zu einem möglichst dunklen Raum führt. Man rollt mehrere Bögen Schreibmaschinenpapier zu „Säulen“ von etwa 3 cm Durchmesser auf, fixiert sie mit Klebeband und stellt sie im geeigneten Abstand nebeneinander vor den Türspalt. Von einer passend positionierten Taschenlampe beleuchtet, kann man hinter dem Türspalt ähnliche Lichtstreifen sehen wie im Kirchenvorraum.
Bleibt die Frage, warum sich dieses an sich einfache Phänomen dem einen oder anderen möglicherweise nicht sofort erschließt. Ein Grund mag in der „physikalischen Sozialisation“ liegen, wonach man Lichtquellen meist nur als direkte „Lichterzeuger“ kennenlernt. Dass ein beliebiger (heller) Gegenstand ebenfalls Licht abgibt und wie eine direkte Lichtquelle wirken kann, wird dabei vielfach übersehen.
H. Joachim Schlichting, Münster
Dieser Beitrag erschien in der aktuellen Ausgabe von Physik in unserer Zeit. Sie finden ihn hier zum freien Download.