01.06.2016

Einmal Weltraum-Eis bitte!

Neutronenstreu-Experimente entschlüsseln die hochpörosen Eisstrukturen in Kometeneis.

Als die Raumsonde Rosetta im November 2014 den Lander Philae auf den Kometen Tschurjumow-Gerassimenko – kurz Tschuri – niedergehen ließ, war die Spannung groß. Zum ersten Mal war die Menschheit einem dieser durchs Weltall fliegenden Staub- und Eis­riesen so nahe gekommen. Die folgenden Untersuchungen drehten sich vor allem um das Wasser auf dem Kometen und die Suche nach organischen Verbindungen, die einen Hinweis auf den Ursprung des Lebens geben könnten. „Im Weltall liegt Wasser zu einem sehr großen Teil als amorphes Eis vor“, erklärt Thomas Lörting vom Institut für Physikalische Chemie der Universität Innsbruck. „Wenn sich Wasser­moleküle an der extrem kalten Ober­fläche des interstellaren Staubs ablagern, bildet sich Eis mit einer mikro­porösen Struktur, die über eine riesige Ober­fläche verfügt. Ein Gramm dieses Materials könnte man auf 500 Quadrat­meter ausrollen.“ Dieses mit Aktivkohle vergleichbare Eis wirkt im Weltall wie ein Staub­sauger, der alle Moleküle in der Umgebung aufnimmt und in den feinen Poren einlagert. Dort sind die Moleküle vor der harten Strahlung im All geschützt. Es gibt deshalb Vermutungen, dass die ersten Moleküle des Lebens, wie Peptide und Proteine, dort entstanden sein könnten.

Abb.: Blick in die Versuchanordnung am Rutherford Appleton Laboratory in Großbritannien (Bild: U. Innsbruck)

Thomas Lörting und sein Team haben nun im Labor untersucht, welche Bedingungen in diesen Eis-Poren herrschen. „Wenn Kometen auf die Sonne zufliegen, erwärmt sich das Eis und erweicht“, sagt der Chemiker. „Wir wollten uns das im Detail anschauen und haben das amorphe Eis mit einer ganz neuen Methode näher untersucht.“ Die in einem von Lörtings Team entwickelten Verfahren an der Uni Innsbruck hergestellten Proben wurden dazu nach England überführt und dort im Rutherford Appleton Laboratory in der Nähe von Oxford in einem gepulsten Neutronen­reaktor analysiert. „Anhand der Kleinwinkel­streuung lässt sich die Poren­struktur des Eises sehr gut erkennen“, erzählt Lörting. Gemeinsam mit Kollegen von der Open University in Milton Keynes untersuchten die Innsbrucker Forscher nun, bei welchen Temperaturen und wie genau sich die Mikro­poren des Eises verändern: „Die anfangs rauen, zylinder­förmigen Poren des Eises werden zunächst glatt und sacken dann in sich zusammen“, schildert Thomas Lörting seine Beobachtungen. „Man kann sich das vorstellen, wie einen Joghurt­becher, der im Backrohr langsam zusammen­sackt.“ Das Eis bildet dann lamellen­förmige, zwei­dimensionale Strukturen aus. Gleichzeitig reduziert sich die Ober­fläche auf weniger als ein Quadrat­meter pro Gramm.

Eine wichtige weitere Entdeckung: Oberhalb einer Temperatur von minus 150 Grad Celsius bildet sich flüssiges Wasser, das erst bei minus 120 Grad aus­kristallisiert und die in den Poren gesammelten Moleküle freigibt. Diese bilden beim Flug zur Sonne den für Kometen charakteristischen Schweif. „Die zwei­dimensionalen Strukturen und das flüssige Wasser bei so extrem tiefen Temperaturen sind eine sehr spezielle Umgebung für chemische Prozesse. Wir wollen in einem nächsten Schritt diese Prozesse mit im Eis ein­gelagerten Molekülen näher untersuchen“, blickt Lörting bereits in die Zukunft. Die von den Chemikern im Labor gesammelten Daten sind wichtig für die Kometen­forschung, umgekehrt wartet das Innsbrucker Forschungs­team gespannt auf weitere Daten der Rosetta-Mission. „Unter seiner staubigen Haut besteht Tschuri zu einem großen Teil aus diesem amorphen Eis. Messungen der ESA-Sonde sind deshalb für uns von großem Interesse“, sagt Lörting.

U. Innsbruck / DE

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