Eiskalte Elektronen dirigieren
Verschiedene Elektroneneigenschaften lassen sich bei tiefen Temperaturen magnetisch ein- und ausschalten.
Nur wenn es kalt ist, herrscht Ordnung. An der TU Wien werden Materialien fast bis auf den absoluten Nullpunkt abgekühlt – so sehr, dass Elektronen, die sonst ganz zufällig verschiedene Zustände einnehmen können, bestimmte Regelmäßigkeiten zeigen. Meist ist aber sogar das Verhalten von extrem kalten Elektronen schwer zu verstehen, einerseits weil die Elektronen einander stark beeinflussen und nicht getrennt voneinander beschrieben werden können, und andererseits, weil verschiedene Elektronen-Merkmale gleichzeitig eine Rolle spielen. Erleichtert wird das Verständnis aber durch neue Experimente an der TU Wien: Es gelang nun, verschiedene Merkmale der Elektronen getrennt voneinander zu beeinflussen. Eng miteinander verwobene Quantenphänomene werden dadurch einzeln verständlich.
Wenn man einen großen Sack mit Schachfiguren hat, die man nach und nach auf ein Schachbrett stellt, bis es voll ist, dann gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, geordnete Muster herzustellen: Man kann zum Beispiel immer abwechselnd eine weiße und eine schwarze Figur hinstellen. Man kann auch die Farben ignorieren und immer abwechselnd einen Springer und einen Turm platzieren, oder sich kompliziertere Ordnungsmuster ausdenken, die Farbe und Figurentyp miteinander verbinden.
Bei Elektronen in einem Festkörper ist es ähnlich: Wie im Schachbrett gibt es regelmäßig angeordnete Plätze, auf denen Elektronen sitzen können. Und wie die Schachfiguren haben Elektronen unterschiedliche Eigenschaften, die man zum Herstellen von Ordnung verwenden kann. „Die einfachste Eigenschaft der Elektronen ist ihre Ladung – sie ist dafür zuständig, dass elektrischer Strom fließen kann. Allerdings ist die Ladung bei allen Elektronen gleich“, sagt Silke Bühler-Paschen vom Institut für Festkörperphysik der TU Wien. „Interessanter wird die Sache, wenn man auch den Elektronenspin berücksichtigt. Für den gibt es immer zwei verschiedene Möglichkeiten. Durch regelmäßige Anordnung von Elektronenspins in einem Festkörper werden seine magnetischen Eigenschaften festgelegt.“
Allerdings gibt es für festsitzende Elektronen noch eine weitere Eigenschaft, einen weiteren Freiheitsgrad, der eine wichtige Rolle spielt: Der Orbital-Freiheitsgrad. Wenn ein Elektron an ein bestimmtes Atom gebunden ist, sind verschiedene räumliche Anordnungen möglich. Die Quantenphysik erlaubt unterschiedliche geometrische Beziehungen zwischen Elektron und Atom – und auch das ermöglicht geordnete Strukturen, etwa wenn in einem Kristall viele gleiche Atome angeordnet sind, und jedes hat ein Elektron, das sich im selben Orbital-Zustand befindet.
„Wir untersuchten ein Material aus Palladium, Silizium und Cer“, sagt Silke Bühler-Paschen. „Entscheidend sind für uns einerseits die Elektronen, die am Cer-Atom sitzen, und andererseits die Leitungselektronen, die sich frei durch den Kristall bewegen können.“ Es ist nämlich möglich, mit Hilfe der Leitungselektronen die Ordnung der Elektronen am Cer-Atom zu beeinflussen – und zwar sowohl ihren Spin-Freiheitsgrad als auch ihren Orbital-Freiheitsgrad. „Das geschieht durch Abschirmung“, erklärt Bühler-Paschen. „Die Leitungselektronen können sowohl den Spin- als auch den Orbital-Zustand der festsitzenden Elektronen quasi verstecken, was als Kondo-Effekt bezeichnet wird. Damit ist dann auch keine Ordnung mehr möglich.“ Wie sich nun zeigte, kann man die Ordnung dieser beiden Freiheitsgrade bei sehr tiefen Temperaturen getrennt ein- und ausschalten – mit Hilfe winziger Magnetfeld-Änderungen.
„Dass quantenphysikalische Ordnung in gewissen Situationen zusammenbricht oder neu entsteht, ist nichts Neues“, sagt Silke Bühler-Paschen. „Aber hier haben wir ein System, bei dem die Ordnung in Bezug auf zwei verschiedene Freiheitsgrade, die bei hohen Temperaturen eng verwoben sind, einzeln ein- und ausgeschaltet werden kann – und das ist ganz bemerkenswert.“
Diese Möglichkeit könnte nun helfen, besonders interessanten Eigenschaften komplexer Materialien auf die Schliche zu kommen. „Es gibt einigen Grund anzunehmen, dass der Orbital-Freiheitsgrad auch beim Phänomen der unkonventionellen Supraleitung eine wichtige Rolle spielt“, sagt Silke Bühler-Paschen. „Wir haben nun ein neues Instrument zur Verfügung, um solche technologisch wichtigen Effekte endlich besser verstehen zu können.“
TU Wien / DE