Fernes Brodeln
Lavasee auf Jupitermond Io mit Hilfe interferometrischer Beobachtung von der Erde aus sichtbar gemacht.
Io, der Innerste der vier bereits im Jahr 1610 entdeckten Jupitermonde, ist nur wenig größer als der Erdmond, stellt aber das geologisch aktivste Objekt im ganzen Sonnensystem dar. Hunderte von Vulkanen wurden durch Raumsonden auf seiner Oberfläche entdeckt, die überwiegend von Schwefel und Schwefeldioxid bedeckt ist. Der größte dieser Vulkane heißt Loki, nach der nordischen Gottheit, die für Feuer und Chaos steht. Es handelt sich dabei um eine flache vulkanische Vertiefung, auch Patera genannt, in der die dichtere Lavakruste, die sich auf der Oberfläche eines ausgedehnteren Lavasees bildet, in regelmäßigen Abständen in dem Lavasee versinkt. Das führt zu einem Anstieg der Wärmestrahlung aus dieser Region, die regelmäßig von der Erde aus beobachtet werden kann. Mit einem Durchmesser von nur 200 Kilometern und in einem Abstand von mindestens 600 Millionen Kilometern von der Erde erschien Loki bis jetzt aber viel zu klein, um Details mit Hilfe von optischen oder Infrarotteleskopen vom Erdboden aus abbilden zu können.
Abb.: LBT-Interferometerbild des Lavasees des Vulkans Loki auf dem Jupitermond Io (in Orange) in Überlagerung mit einem entsprechenden Bild, aufgenommen von der Raumsonde Voyager (dunkle Schattierung; Bild: LBTO / NASA)
Doch das Large Binocular Telescope hat zwei Einzelspiegel von je 8,40 Metern Durchmesser, die in 6 Metern Abstand voneinander auf einer gemeinsamen Montierung angeordnet sind. Das von den beiden Einzelspiegeln aufgefangene Licht kann interferometrisch überlagert werden. Es ist dadurch möglich, die theoretische Auflösung eines Teleskops von 22,80 Metern zu erhalten. Das dafür notwendige Instrument hat den Namen Large Binocular Telescope Interferometer (LBTI). Mit dem LBTI-Instrument ist es einem internationalen Team von Forschern nun erstmals gelungen, den Vulkan Loki von der Erde aus im Detail sichtbar zu machen.
„Wir überlagern das von den zwei sehr großen Einzelspiegeln empfangene Licht in kohärenter Weise derart, dass die Spiegel zu einem virtuellen Riesenteleskop verbunden werden“, sagt Al Conrad, Wissenschaftler am Large Binocular Telescope Observatory (LBTO). „Auf diese Weise wurde es uns zum ersten Mal möglich, die unterschiedliche Helligkeit unterschiedlicher Regionen des Kratersees von Loki zu vermessen.“
Für Phil Hinz, den Leiter des LBTI-Projekts am Steward-Observatorium der Universität von Arizona, ist es das Ergebnis von nahezu 15 Jahren Entwicklungsarbeit. „Wir haben das LBTI speziell dafür gebaut, um Bilder mit extrem hoher Auflösung zu erhalten. Es ist schön zu sehen, dass das System derart gut arbeitet.“ Phil betont, dass dies nur eine der einzigartigen Eigenschaften des LBTI darstellt. „Wir haben das Ganze gebaut, um hochaufgelöste Bilder zu erhalten, aber auch dafür, um Staub und sehr lichtschwache Planeten um nahegelegene Sterne zu entdecken. Das aktuelle Ergebnis ist ein großartiges Beispiel für das Potential, das in diesem System steckt.“
Abb.: Interferometrisches LBT-Bild von Io (links) im Vergleich zu einem NASA-Satellitenbild (rechts). Der Lavasee des Vulkans Loki ist in Rot auf dem LBT-Bild zu sehen. Kreise: weitere Vulkane auf Io. (Bild: LBT Research Team)
LMIRcam ist die Bezeichnung für eine Kamera im Infrarotbereich von 3 bis 5 Mikrometern Wellenlänge. Diese Kamera ist das Resultat der Doktorarbeit von Jarron Leisenring an der Universität von Virginia. Wie Jarron, der inzwischen als Instrumentwissenschaftler für die Infrarotkamera NIRCam für das James-Webb-Weltraumteleskop am Steward-Observatorium arbeitet, sagt, „sind diese Beobachtungen ein Meilenstein für mich und das ganze Instrumentteam. Mit der interferometrischen Kombination der Spiegel haben wir jetzt den entscheidenden Schritt unternommen, um das volle Potential des LBT auszuschöpfen und eine Fülle von neuen wissenschaftlichen Möglichkeiten anzusteuern.“
Damit man ein Bild höchster Auflösung rekonstruieren kann, muss man eine große Zahl von LMIRcam-Rohbildern verarbeiten. „Die aufgenommenen Rohbilder sind von Interferenzmustern überzogen und haben dadurch nur eine begrenzte Bildschärfe”, erklärt Gerd Weigelt, Professor am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn. „Mit modernen interferometrischen Bildrekonstruktionsmethoden, sogenannten Entfaltungsmethoden, ist es uns jedoch möglich, eine wirklich spektakuläre Bildauflösung zu erreichen.“
„Es ist sehr wichtig, unterschiedlichen Bildverarbeitungsmethoden zu entwickeln und anzuwenden, damit man feinste Bilddetails mit hoher Zuverlässigkeit rekonstruieren kann,“ fügt Mario Bertero, Professor für Informationswissenschaften an der Universität von Genua in Italien, hinzu.
„Während wir vorher bereits helles Aufblitzen von Loki über die Jahre hinweg sahen, zeigen diese phantastischen Bilder vom LBTI jetzt erstmals, dass dieses Aufleuchten jeweils gleichzeitig in unterschiedlichen Regionen auftritt“, erklärt Imke de Pater, Professorin an der Universität von Kalifornien in Berkeley. „Das ist ein starker Hinweis darauf, dass es sich bei der abgebildeten hufeisenförmigen Struktur höchstwahrscheinlich um einen aktiven Lavasee mit variablem Aussehen handelt, wie auch bereits in der Vergangenheit spekuliert wurde.“
„Zwei der vulkanischen Io-Strukturen treten an neuen aktiven Plätzen auf”, ergänzt Katherine de Kleer, eine Doktorandin an der Universität von Kalifornien in Berkeley. „Sie befinden sich in einer Region namens Colchis Regio, wo erst wenige Monate vorher eine enorme Eruption stattgefunden hat, und könnten durchaus die Nachwehen dieser Eruption darstellen. Die hohe Genauigkeit des LBTI ermöglicht es uns, die Restaktivität in dieser Region in verschiedenen Bereichen getrennt darzustellen, bei denen es sich um Lavaflüsse handeln könnte.“
„Die Untersuchung der sehr dynamischen vulkanischen Aktivität auf Io, die die Oberfläche von Io ständig verändert, gibt Hinweise auf Aufbau und innere Struktur dieses Mondes“, bemerkt Teammitglied Chick Woodward von der Universität von Minnesota. „Damit bereiten wir auch den Weg für zukünftige NASA-Missionen wie den ‚Io-Observer‘. Durch Ios extrem elliptischen Orbit in geringem Abstand um Jupiter wirken extrem starke Gezeitenkräfte, vergleichbar mit dem Quetschen einer reifen Orange, wobei der Saft durch Risse in der Schale herausgedrückt wird.“
Für Christian Veillet, den Direktor des Large Binocular Telescope Observatory, „bedeutet diese Untersuchung einen sehr wichtigen Meilenstein für unser Observatorium. Das einzigartige binokulare Design des LBT zeigt jetzt seine Fähigkeit zur Auflösung von Strukturen, die nur ein Einzelteleskop der 23-Meter-Klasse erreichen könnte. Die heute veröffentlichten spektakulären Resultate vom Jupitermond Io sind Anerkennung für viele Mitarbeiter, die an das LBT-Konzept geglaubt und viele Jahre harter Arbeit in seine Realisierung gesteckt haben.“
Veillet fügt abschließend hinzu: „Während es noch eine Menge Arbeit bedeutet, die Kombination von LBT und LBTI weiterzuentwickeln, können wir jetzt bereits feststellen, dass das „Large Binocular Telescope“ ein Wegbereiter für die ELTs und damit die nächste Generation von Riesenteleskopen darstellt, die erst in einem Jahrzehnt oder mehr ihren Betrieb aufnehmen werden.“
MPIfR / DE