Gelenkte Elektronen in Bismuten
Beweglichkeit von Elektronen in dem topologischen Isolator ist durch kollektive Effekte eingeschränkt.
Topologische Isolatoren sind Zwittermaterialien. Das bedeutet, dass sie in ihrem Inneren keinen elektrischen Strom leiten können, sehr wohl aber an ihrem Rand. Im Gegensatz zu gewöhnlichen Metallen verhalten sich topologische Isolatoren grundlegend anders. Hier können sich die Elektronen nur entlang eindimensionaler Leitungskanäle am Rand des Materials frei bewegen. Aufgrund des Quantenspinhall-Effekts können sie dabei nicht mehr an Defekten gestreut werden. Dieser topologische Schutz führt zu einem verlustfreien Strom.
Um das Verhalten der Elektronen in solchen Randkanälen besser zu verstehen, hat ein Forschungsteam der Lehrstühle Experimentelle Physik IV um Ralph Claessen und Theoretische Physik I um Ronny Thomale der Julius-Maximilians-Universität Würzburg Untersuchungen an dem kürzlich erstmals synthetisierten topologischen Isolator Bismuten durchgeführt. Dabei handelt es sich um eine einzelne Lage von Bismut-Atomen, die in Form eines bienenwabenförmigen Gitters auf dem Halbleiter Siliziumkarbid aufliegt.
Das Team konnte durch ein Rastertunnelmikroskop beobachten, dass sich das Verhalten der Elektronen bei tiefen Temperaturen auffällig verändert: „Auf unserer Elektronenautobahn ist der Einfluss der tiefen Temperatur vergleichbar mit der Fahrbahnverengung bei einer Baustelle. Hier ist die Gefahr von Zusammenstößen zwischen den Elektronen deutlich erhöht. Um dies zu vermeiden und ausreichend Abstand halten zu können, vermindern die Elektronen daher ihre Geschwindigkeit“, erklärt Ralph Claessen. In Bismuten zeige sich dieses Verhalten in einer temperaturabhängigen Energie-Verteilung der Elektronen in den Randkanälen. Dieses Phänomen ist bereits aus anderen eindimensionalen Elektronensystemen als „Tomonaga-Luttinger-Verhalten“ bekannt.
Eine genauere theoretische Analyse zeigt, dass der Effekt zwischen zwei Elektronen umso stärker zu Tage tritt, je enger der Randkanal ist – wie bei einer Autobahnbaustelle mit nur einem statt zweier Fahrstreifen. „Hier müssen alle Autos Rücksicht aufeinander nehmen und die Geschwindigkeit anpassen, um Kollisionen zu vermeiden. Obwohl dieser Effekt grundsätzlich in jedem verengten Leitungskanal auftritt, ist er unter den perfekten Autobahnbedingungen des topologischen Isolators am deutlichsten zu beobachten.“, sagt Ronny Thomale. Dies sei in der vorliegenden Arbeit zum ersten Mal in beeindruckender Klarheit gelungen.
Die Elektronenautobahnen am Rand von topologischen Isolatoren könnten Bauelemente künftiger Mikroelektronik werden, in der man die besonders geschützten Leitungskanäle für eine verlustfreie und ultraschnelle Computertechnologie verwendet. Dies ist auch Thema und Ziel des Exzellenzclusters „ct.qmat" und des Sonderforschungsbereichs „ToCoTronics“ in der Würzburger Physik. Hierfür muss jedoch zunächst das Verkehrsverhalten der Elektronen vollständig verstanden werden.
JMU Würzburg / JOL
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
R. Stühler et al.: Tomonaga–Luttinger liquid in the edge channels of a quantum spin Hall insulator, Nat. Phys., online 28. Oktober 2019; DOI: 10.1038/s41567-019-0697-z - Experimentelle Physik IV (R. Claessen), Universität Würzburg
- Theoretische Physik I (R. Thomale), Universität Würzburg