Neue Einblicke in die Struktur von Atomkernen
Präzisionsmessungen setzen Grenzen für die Stärke einer möglichen dunklen Kraft zwischen Neutronen und Elektronen.
Quantenphysiker der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt und des MPI für Kernphysik haben mit zwei unterschiedlichen Messmethoden Atom- und Kernphysik mit bahnbrechender Genauigkeit miteinander kombinierten. Zusammen mit neuen Berechnungen der Struktur von Atomkernen konnten theoretische Physiker der TU Darmstadt und der Uni Hannover zeigen, dass man über Messungen an der Elektronenhülle eines Atoms etwas über die Verformung des Atomkerns erfährt. Gleichzeitig setzten diese Präzisionsmessungen neue Grenzen für die Stärke einer möglichen dunklen Kraft zwischen Neutronen und Elektronen.

Seit fast einem Jahrhundert weisen Messungen darauf hin, dass ein erheblicher Anteil der Materie im Universum aus unbekannter dunkler Materie besteht, die über die Gravitation mit der sichtbaren Materie wechselwirkt. Unklar ist, ob es auch neue „dunkle Kräfte“ gibt, die zwischen der sichtbaren und der dunklen Materie kommunizieren können. Solche Kräfte müssten auch auf Atome wirken, die man heute mit hoher Präzision untersuchen kann. „Insbesondere die Messung der Verschiebung der elektronischen Resonanzen in Isotopen ist eine besonders leistungsfähige Methode, um das Zusammenspiel von Kern- und Elektronenstruktur zu beleuchten“, erklärt Tanja Mehlstäubler von der PTB.
Im Jahr 2020 entdeckte ein Team des MIT bei der Untersuchung solcher Isotopenverschiebungen im Element Ytterbium eine Abweichung vom erwarteten Ergebnis, eine Nichtlinearität. Das versetzte die Welt der Atomphysiker in Aufregung: Könnte diese Anomalie der erste Beweis für eine dunkle Kraft sein oder ist sie auf Eigenschaften des Atomkerns zurückzuführen? Sind die Atomphysiker durch die Hintertür in die Kernphysik eingestiegen, indem sie die in verschiedenen Isotopen gemessenen Übergangsfrequenzen der Elektronen verglichen haben?
Angetrieben von dieser Frage machten sich Mehlstäubler und Klaus Blaum vom MPIK daran, die Ytterbium-Isotopenverschiebungen zu untersuchen. Ihre Forschungsteams führten hochpräzise Messungen der atomaren Übergangsfrequenzen und Isotopenmassenverhältnisse von Ytterbium-Isotopen durch. Die optische Spektroskopie in der PTB erfolgte mit einer linearen Hochfrequenz-Ionenfalle und ultrahochstabilen Lasersystemen. Am MPIK wurden die Isotopenmassenverhältnisse im Penning-Fallen-Massenspektrometer Pentatrap bestimmt. Beide Messungen waren bis zu hundertmal genauer als bisherige Messungen dieser Art.
Die Forscher bestätigten die Anomalie. Das Team konnte diese mit neuen kerntheoretischen Berechnungen der Gruppe von Achim Schwenk an der TU Darmstadt erklären und gemeinsam mit theoretischen Atomphysikern am MPIK und der University of New South Wales in Australien sowie Teilchenphysikern der Uni Hannover eine neue Grenze für die Existenz von dunklen Kräften setzen.
Die internationale Kollaboration konnte mit diesen Daten sogar direkte Informationen über die Verformung des Atomkerns entlang der Ytterbium-Isotopenkette gewinnen. Das kann neue Einblicke in die Struktur schwerer Atomkerne und in die Physik neutronenreicher Materie liefern, die die Grundlage für das Verständnis von Neutronensternen bildet. Die Forschung eröffnet der Atom-, Kern- und Teilchenphysik neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit auf der Suche nach neuer Physik und ein besseres Verständnis der komplexen Phänomene, die die Struktur der Materie bestimmen.
PTB / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
M. Door et al.: Probing new bosons and nuclear structure with ytterbium isotope shifts, Phys. Rev. Lett. 134, 063002 (2025). DOI: 10.1103/PhysRevLett.134.063002 - Quantum Clocks and Complex Systems (T. Mehlstäubler), Physikalisch-Technische Bundesanstalt, Braunschweig
- Gespeicherte und gekühlte Ionen (K. Blaum), Max-Planck-Institut für Kernphysik, Heidelberg
- Strong Interaction (A. Schwenk), Theory Center, Technische Universität Darmstadt