Kontinente heben sich in Zeitlupe
Neue Antwort auf eine der rätselhaftesten Fragen der Plattentektonik.
Ein Forschungsteam unter Mitwirkung der GFZ-Forschenden Sascha Brune, Jean Braun und Anne Glerum hat sich mit einer der rätselhaftesten Fragen der Plattentektonik beschäftigt: Warum heben sich die tektonisch äußerst stabilen Kerngebiete der Kontinente allmählich an und wie bilden sich einige der größten topografischen Merkmale unseres Planeten? In der neuen Forschungsarbeit unter Leitung von Thomas Gernon, Professor an der Universität Southampton, wurden die Auswirkungen tektonischer Kräfte auf die Landschaftsentwicklung der „Großen Randstufe“ über Hunderte von Millionen Jahren untersucht. Die Forschenden haben herausgefunden, dass beim Auseinanderbrechen tektonischer Platten tief im Erdinneren starke wellenartige Prozesse ausgelöst werden, die die Kontinentaloberfläche um mehr als einen Kilometer anheben können. Ihre Ergebnisse helfen zu erklären, warum Teile der Kontinente, die bisher als stabil galten, erhebliche Hebungen und dadurch ausgelöste Erosion erfahren und wie solche Prozesse Hunderte oder sogar Tausende von Kilometern ins Landesinnere wandern und weitläufige, als Plateaus bekannte Regionen wie die Zentrale Hochebene in Südafrika bilden können.
Plateaus sind Teil der ältesten Strukturen der Kontinente, der Kratone, die mehrere Milliarden Jahre alt sind. Diese alten Strukturen der Kontinente werden als tektonisch enorm stabil erachtet. Die vertikalen Bewegungen dieser kontinentalen Kerngebiete gehören nach wie vor zu den am wenigsten verstandenen Aspekten der Plattentektonik. Begrenzt werden viele der kratonischen Kontinentalfragmente von steilen Geländeformen. Eine solche immense und markante Geländeform ist die „Große Randstufe“, die sich nahezu entlang der gesamten Küste im südlichen Afrika zieht und die dortigen Hochebenen − zum Teil in großer Entfernung − umgibt. Sie entstand vor mehr als 120 Millionen Jahren mit dem Zerbrechen des Urkontinents Gondwana. Bisher nahm man an, dass die Entstehung von Kratonen und Randstufen unabhängig voneinander abläuft, da sie in der Landschaft häufig räumlich weit voneinander getrennt zu finden sind – manchmal beträgt die Distanz zwischen ihnen sogar mehrere tausend Kilometer.
Um geologische Prozesse dieser Art zu untersuchen, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowohl geologische Beobachtungen und statistische Analysen, als auch geodynamische Simulationen und Landschaftsentwicklungsmodelle miteinander kombiniert. Das daraus resultierende physikalische Modell verbindet zwei Phänomene, also Kratone und Randstufen, mechanistisch mit dem kontinentalen Rifting. Methodisch baut diese Arbeit auf der einer Studie aus dem vergangenen Jahr auf, die den Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Diamanten an der Erdoberfläche und dem Auseinanderbrechen von Kontinenten untersucht hat. Die Forschenden hatten herausgefunden, dass beim Auseinanderbrechen von Kontinenten die Dehnung der kontinentalen Kruste zu Bewegungen im Erdmantel führt.
Dies führt zu gewaltigem Vulkanismus, der Diamanten, die im oberen Erdmantel in großen Tiefen von über 150 Kilometern entstehen, an die Oberfläche befördert. Bevor eine Kontinentalplatte auseinanderbricht, dünnt sie sich im Laufe vieler Millionen Jahre aus, was als „Rifting“ bezeichnet wird. Dabei senkt sich die Erdoberfläche ab und bildet einen Grabenbruch wie das Rift Valley in Ostafrika. Irgendwann strömt Meerwasser ein, wie es beim Roten Meer der Fall ist. Gleichermaßen verändert sich die Unterseite der Erdplatte. Stücke der Plattenunterseite, auch als Kiele bezeichnet, sinken in den tiefen Erdmantel, während heißeres Gestein von unten in den freiwerdenden Raum einfließt.
In der Folge kommt es zu Schmelzvorgängen: Das vorher zähplastische Gestein wird flüssig, bahnt sich seinen Weg nach oben und bringt dabei auch Diamanten an die Erdoberfläche. Die Strömungen entlang der Unterseite von Erdplatten entfernen eine beträchtliche Menge an Gestein, das Dutzende von Kilometern dick ist. Die Kettenreaktion erreicht dabei letztlich auch zentrale Regionen der Kontinente, die in großer Entfernung von Riftzonen liegen. Nun hat das Wissenschaftsteam herausgefunden, dass Randstufen und Hochebenen überhaupt erst dadurch entstehen, dass Instabilitäten im Erdmantel kratonische Kiele abtragen und sich dadurch auch das Innere des Kratons hebt.
Die Instabilitäten im Erdmantel entstehen zunächst mit dem Auseinanderbrechen der Kontinente − in diesem Fall entlang der Grabenbrüche. Von dort aus wandern die Instabilitäten entlang der Plattenunterseite mit einer Rate von etwa fünfzehn bis zwanzig Kilometer pro einer Million Jahre in Richtung des stabilen Bereichs der Kontinente (Kratone) und tragen dabei allmählich die kratonischen Kiele ab. Zur Hebung und damit zur Bildung der Hochebenen, kommt es, wenn die Kratone leichter werden, weil kühlere, schwere Teile der kratonischen Kiele in den tieferen Erdmantel absinken. Das kann man sich vorstellen, wie wenn man von einem Heißluftballon Gewicht abwirft und er dann steigt. Dieser Prozess löst eine synchronisierte Hebungs- und Erosionswelle aus, die über Dutzende von Millionen Jahren andauert und sich mit ähnlicher Geschwindigkeit wie die Instabilitäten über den Kontinent ausbreitet.
Das Teams liefert eine neue Erklärung für die rätselhaften vertikalen Bewegungen von Kratonen weit entfernt von den Rändern der Kontinente. Die tiefen Stockwerke der Erdplatten können demnach sehr großen Einfluss auf die Entwicklung der Oberfläche haben. So konnten die Wissenschaftler zeigen, dass ein einziger Prozess – das nacheinander stattfindende Ablösen von tiefen Schichten der Kontinentalplatten – sowohl die Existenz der „Großen Randstufe“, die Hebung der Plateaus und die Erosion im Landesinneren ermöglicht als auch den Vulkanismus bedingt, durch den Diamanten an die Erdoberfläche gelangen. Diese Phänomene treten im Südlichen Afrika bis zu tausend Kilometer voneinander entfernt auf und sind somit nicht einfach in Verbindung zu bringen. Laut der Studie sind Kratone dynamischer als bisher vermutet.
GFZ / JOL