30.06.2009

Lehren auf dem Abstellgleis?

Statt Lehrprofessuren einzurichten, sollten die „normalen“ Professuren gefördert werden. Von Ulrich Schollwöck

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Physik Journal - Statt Lehrprofessuren einzurichten, sollten die „normalen“ Professuren gefördert werden. Von Ulrich Schollwöck

Universitas semper reformandum – dieses Motto scheint sich eine Klasse von Wissenschaftsfunktionären besonders zu eigen gemacht zu haben, sei es, um ihre Existenz zu rechtfertigen oder um gegen die Unterfinanzierung und Vernachlässigung deutscher Universitäten durch Strukturänderungen anzudoktern. Aus der Sicht der Physik ist es erstaunlich, wie trotz katastrophaler Betreuungsrelationen, veralteter Bibliotheken und Praktika weiterhin international hervorragend angenommene Physikerinnen und Physiker ausgebildet werden konnten, bei im Vergleich mit anderen Naturwissenschaften überdurchschnittlichen Planstellenverlusten. Dennoch ist die Lehre bedroht: durch die betreuungsintensiveren Bachelor/Master-Studiengänge, die Modularisierung der Studiengänge, den Druck, mehr und zumeist schlechter aufs Studium vorbereitete Studenten auszubilden, doppelte Abiturjahrgänge ... In der Politik verortet man aber gerne noch weitere, die eigentlichen Feinde der Lehre: Professoren, die, durch die Aussicht auf Forschungsreputation verführt, die Kärrnerarbeit der Lehre schmählichst vernachlässigen. Vielleicht sind es aber eher die überbordenden Verwaltungstätigkeiten, die die Forschung zur Freizeitaktivität degradieren und die Lehre leiden lassen?

Das unbestreitbare Desiderat einer Aufwertung und Verbesserung der Lehre soll nun durch die Einführung der Personalkategorie „Lehrprofessor“ erreicht werden. Die Ausgestaltung schwankt, im Wesentlichen geht es um zwölf oder mehr Stunden Lehrverpflichtung; teilweise wird eine „Juniorprofessur Lehre“ vorangestellt. Der Lehrprofessor soll die besondere Bedeutung der Lehre unterstreichen und damit zu einer erhöhten Qualität der Lehre beisteuern.

Wird es nun wirklich zu einem Umschlag von Quantität (höhere Lehrverpflichtung) in Qualität (bessere Lehre) kommen? Ein Schelm, wer Schlechtes dabei denkt. Aber schon ohne diese intellektuell waghalsige Konstruktion habe ich enorme Zweifel am Nutzen der Lehrprofessur für Lehrende und Lernende.



Abb.: Meinung von Ulrich Schollwöck, Vizepräsident des Deutschen Hochschulverbands und Professor für Theoretische Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität München.


Oft wird am deutschen Physikstudium moniert, es solle früher an die Forschung heranführen. Wer erlebt hat, mit welcher Begeisterung Studenten, auch wenn sie später nicht forschen wollen, „Schnupperforschung“ aufgreifen, wird diese Forderung unterstützen – wird ein der Forschung entwöhnter Lehrprofessor ihr entsprechen können? Sicher bilden wir die meisten Absolventen nicht für die Forschung aus, sondern wollen ihnen allgemein die Fähigkeit mitgeben, sich in neue Strukturen einzudenken, Lösungen zu finden, Gedanken zu kommunizieren: Wie viel davon bleibt in einer Vorlesung, die sich kaum noch von Schulunterricht unterscheidet, in dem ebenfalls nicht in der täglichen Anwendung „selbsterfahrenes“ Wissen vermittelt wird?

Angeblich sollen die beiden Personalkategorien Professor und Lehrprofessor gegenseitig durchlässig bleiben. Schon die normale Lehrverpflichtung ist im internationalen Vergleich sehr hoch und erschwert das Mithalten in der Forschung – wie soll da ein Lehrprofessor durch kompetitive Forschung Professor werden können? Insbesondere, wenn er bereits als „Juniorprofessor Lehre“ aufs Gleis gesetzt wurde? Die versprochene Durchlässigkeit der Karrierepfade bleibt Illusion – und wäre umso wichtiger, als man im Laufe eines Wissenschaftlerlebens Forschung und Lehre manchmal gerne umgewichten würde. Was bleibt, ist eine Stelle als Abstellgleis, zur Versorgung oder billigen Quotenerfüllung.

Letztlich sind alle Argumente natürlich Spiegelfechterei, wenn – wie kürzlich auf einer Podiumsrunde des Hochschulverbands geschehen – ein führender Wissenschaftsfunktionär einräumt, eigentlich diene die Lehrprofessur vor allem der Abwehr im Raum stehender politischer Forderungen nach allgemein weit höheren Lehrverpflichtungen für Professoren. Die Lehrprofessur also unterstützenswerter Abwehrzauber oder doch nur vorauseilender Gehorsam? Jedenfalls sind wir wieder zurück auf Los, bei der Unterfinanzierung der Universitäten: Geld ist eben knapp. Wirklich? In Wahrheit geht es schlicht um altbekannte Prioritätensetzungen, wenn in den Jahren 2005 und 2006 noch eine halbe Milliarde Entwicklungshilfe an die VR China gezahlt werden konnte*) oder eben fünf Milliarden für die Abwrackprämie zur Verfügung stehen, die Universitäten im Verteilungsreigen aber mit Almosen abgespeist werden. Wir sollten daher ein derartiges Sparprogramm „Lehrprofessur“ ablehnen und eine adäquate Aufstockung der „normalen“ Professuren fordern, deren Ausgestaltung nicht historisch zufällig ist, sondern sich weltweit bewährt hat.

Ulrich Schollwöck

*) FAZ Online vom 10. Juli 2008

Quelle: Physik Journal, Juli 2009, S. 3

AH/KP

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