Meeresforschung mit Schlagseite?
Der Wissenschaftsrat stößt mit seinen Empfehlungen zur Forschungsflotte auf geteilte Resonanz.
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Physik Journal – Der Wissenschaftsrat stößt mit seinen Empfehlungen zur Forschungsflotte auf geteilte Resonanz.
Vier der sieben hochseetauglichen Forschungsschiffe für die Meeres- und Polarforschung erreichen altersbedingt in den kommenden Jahren das Ende ihrer Nutzungsdauer. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hatte deshalb vor drei Jahren den Wissenschaftsrat gebeten, ein Gesamtkonzept für die nächsten Dekaden zu erarbeiten und Empfehlungen für Bau und Betrieb der Flotte abzugeben. Dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass dem BMBF beim geplanten internationalen Großprojekt, dem Eis brechenden Forschungsbohrschiff Aurora Borealis, die Kosten davonlaufen und nach wie vor nicht genug zahlungskräftige Partner mit an Bord sind.
Bild: Die in den europäischen Randmeeren operierende „Poseidon“ ist mit ihren 34 Jahren nach Urteil des Wissenschaftsrats den steigenden Anforderungen der modernen Meeresforschung nicht mehr gewachsen. (Bildquelle: IFM-GEOMAR)
Da Eile geboten ist, hatte sich der Wissenschaftsrat bereits letztes Jahr für den Bau eines Tiefseeforschungsschiffs als Ablösung für die „Sonne“ ausgesprochen, deren Dienst plangemäß dieses Jahr zu Ende ist (Tab.). Im jetzt vorgestellten Gesamtgutachten unterstützt der Wissenschaftsrat den frühzeitigen Ersatz für die betagten Forschungsschiffe Polarstern und Meteor. Besonders im Fall der Polarstern, des einzigen Eisbrechers der Flotte, soll dieser so zeitig stattfinden, dass Vorgänger und Nachfolger noch in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts in Arktis und Antarktis operieren und so „bipolar“ Daten gewinnen können.
Entsprechend positiv reagierte Karin Lochte, Direktorin des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts in der Helmholtz-Gemeinschaft (AWI), das die Polarstern betreibt: „Wir brauchen eine zuverlässige Forschungsplattform, um weiter in den Polargebieten arbeiten zu können. Die Empfehlung für einen neuen Forschungseisbrecher kommt zur rechten Zeit, da sich der Klimawandel in Arktis und Antarktis besonders stark auswirkt.“ Zusätzlich obliegen den Forschungseisbrechern Versorgungsfahrten zur Neumayer-Station III und anderen Antarktisstationen.
Scharfe Kritik äußerte jedoch die Leitung des Kieler Leibniz-Instituts für Meereswissenschaften (IFM-Geomar), nach dem AWI das zweitgrößte deutsche Institut für Meeres- und Polarforschung. Der Wissenschaftsrat lasse die Zukunft der schon 34 Jahre alten Poseidon (Abb.) offen, die für die Erkundung der europäischen Randmeere von elementarer Bedeutung ist. „Gerade die mittelgroßen hochseegängigen Schiffe wie die Poseidon sind von ihrer Flexibilität und ihrem guten Kosten-Nutzen-Faktor her ein unverzichtbares Element für die deutsche Meeresforschung“, argumentiert IFM-Geomar-Direktor Peter Herzig. Er hatte vom Wissenschaftsrat klare Signale für die Ersatzbeschaffung erwartet, da sie neben der Maria S. Merian als einziges verbleibendes Schiff im gesamten Nordatlantik und seinen Randmeeren operiert, einem Hauptarbeitsgebiet der deutschen Meeresforscher. Zwei Schiffe dieser Kategorie wurden in den vergangenen Jahren stillgelegt. „Wir müssen jetzt schon Schiffe chartern, um den Bedarf zu decken, stattdessen spricht der Wissenschaftsrat von Überkapazitäten im Bereich der mittelgroßen Forschungsschiffe.“, sagt Herzig.
Dabei hatten sich die norddeutschen Bundesländer längst über einen Ersatz für die Poseidon verständigt. Die Kieler hoffen nun auf eine konstruktive Diskussion der Ratsempfehlungen mit allen Beteiligten, um den Bedürfnissen möglichst vieler der mehr als 2200 Meeresforscher in Deutschland Rechnung zu tragen. Von diesen Wissenschaftlern entfällt die Hälfte auf die beiden Fachgebiete marine Geologie und Physikalische Ozeanographie.
Oliver Dreissigacker