16.07.2012

Mit einem Wisch ist alles weg …

Spontane Imbibition: Wie Materialien mit Nanoporen Flüssigkeiten aufsaugen.

Benetzt man einen Zuckerwürfel mit Kaffee, so saugt der Zucker die Flüssigkeit sofort auf. Verantwortlich sind Kapillarkräfte, die in den Poren zwischen den Zuckerkristallen auf die Flüssigkeit wirken. Weitgehend unbekannt ist bisher, wie solche Benetzungsvorgänge in porösen Gläsern ablaufen, die eine ungewöhnliche mikroskopische Struktur haben. Dieser Frage haben sich theoretische Physiker der Universität des Saarlandes zusammen mit Experimentalphysikern von den Universitäten Hamburg und Düsseldorf gewidmet. In Vycor-Glas fanden sie eine besonders komplexe Struktur der Flüssigkeitsgrenzfläche, die sie anhand eines Porennetzwerk-Modells erklären konnten.

Abb.: Je nach Material und Porestruktur kann die Breite der Imbibitionsfront w(t) einen beachtlichen Bruchteil der mittleren Flüssigkeitshöhe H(t) erreichen. (Bild: Gruener et al., UdS)

Für die Papierherstellung, die Drucktechnik, die Ölförderung und viele andere Anwendungen ist es wichtig zu verstehen, wie das Aufsaugen von Flüssigkeiten durch poröse Materialien vor sich geht, die Imbibition. Dabei bildet sich meist eine kontinuierliche Flüssigkeitsgrenzfläche zwischen dem benetzten und dem noch nicht-benetzten Teil aus, die für viele poröse Materialien recht gut verstanden ist. Komplizierter scheinen die Benetzungsvorgänge in porösen Gläsern zu sein, insbesondere in Vycor-Glas, das unter anderem in der Medizin, der Pharmaforschung und der Biotechnologie Verwendung findet. Es besteht aus einem komplexen Netzwerk aus langgestreckten Poren mit Durchmessern von nur wenigen Nanometern, in denen die Flüssigkeit spontan hunderte von Metern steigen kann, bevor die Schwerkraft die Kapillarkräfte ausgleicht.

Mit Licht- und Neutronenstreuexperimenten nahm das Forscherteam in seiner Studie die Grenzfläche zwischen dem noch trockenen und dem schon benetzten Teil in Vycor-Glas genauer unter die Lupe. Die so genannte Imbibitionsfront verlief dabei nicht als schmale Linie, sondern verbreiterte sich schnell sehr stark und bildete eine besonders komplexe Struktur aus.

Die Forscher der Saar-Uni haben darauf ein theoretisches Modell entwickelt, das dieses Phänomen erklärt: Die Flüssigkeit bildet in den langgestreckten Poren von Vycor-Glas konkave Flüssigkeitsgrenzflächen aus, die Menisken, die sich relativ unabhängig voneinander bewegen, obgleich sie alle durch die Flüssigkeit im benetzten Bereich miteinander verbunden sind. An Poren-Verzweigungen mit unterschiedlichen Radien der auslaufenden Poren kann es nun passieren, dass der Meniskus in der dickeren Pore für lange Zeit festgehalten wird. Dies führt zu einer sehr zerfaserten Imbibitionsfront und sogar zu noch leeren Löchern im bereits benetzten Teil, die sich erst zu einem viel späteren Zeitpunkt schließen. Diese löchrigen Teile gehören dann quasi auch noch zur Grenzfläche, die hierdurch extrem breit ist.

Diese Erkenntnisse der Physiker der Saar-Uni um Professor Rieger helfen, die komplexen mikroskopischen Vorgänge in Benetzungsvorgängen in porösen Gläsern besser zu verstehen. Vycor-Glas wird in vielen Bereichen verwendet: Unter anderem ist es ein ideales Material für die Stofftrennung, beispielsweise in der Chromatografie, und als Membran spielt es eine wichtige Rolle bei der Trinkwassergewinnung aus Meerwasser. Auch für die Entwicklung weiterer Nanomaterialien wird das Verständnis der Benetzungsvorgänge zunehmend wichtiger, beispielsweise bei der Herstellung von Hybridfestkörpern, bei denen eine harte Hülle einen weichen Kern umschließt.

UdS / OD

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