22.11.2012

Neue Methode der Tiefenseismik nutzt das Brummen der Erde

Strukturen des Erdmantels werden erstmals durch eine Korrelations-Analyse des seismischen Rauschens erkennbar.

Nicht nur Erdbeben und Vulkanausbrüche versetzen den Erdkörper regelmäßig in Schwingungen. Ununterbrochen erzeugen Wellenschlag an den Küsten, Wind, Regen und Prozesse in der Atmosphäre tieffrequente Infraschallwellen, die quer durch den Planeten wandern. Dieses für den Menschen nicht hörbare Erdbrummen nutzten nun französische Wissenschaftler von der Universität Grenoble erstmals, um Strukturen tief im Erdmantel zu analysieren. Mit ihrem Experiment in Finnland belegten sie die Funktionstüchtigkeit einer neuen seismischen Methode. Diese nutzt die extrem schwachen Schwingungen in der Erde und ist prinzipiell immer und überall auf unserem Planeten anwendbar.

Abb.: Messstationen fangen seismische Wellen aus dem Erdinneren auf und ermöglichen so eine Analyse der Erdstruktur (A), Lage der Messstationen in Finnland (B), Seismische Infraschallsignale (C; Bild: Poli et al. / AAAS)

„Die tiefsten Bohrlöcher reichen nur etwa zwölf Kilometer tief. So brauchen wir spezielle Sensoren und bildgebende Verfahren, um über den Erdradius von 6371 Kilometern die innere Struktur der Erde zu analysieren“, sagt Piero Poli vom Institut des Sciences de la Terre an der Universität Grenoble. Bisher lieferten starke Erdbeben die nötigen seismischen Wellen, die - in der Tiefe gebrochen und reflektiert - von Sensoren an der Oberfläche aufgefangen werden konnten. Auch die Ära der Atombombentests im vergangenen Jahrhundert bot starke Erschütterungen, die eine Tiefenanalyse ermöglichten. Heute könnte das permanente Erdbrummen einfacher und zuverlässiger die Basis für eine Analyse tiefer Erdschichten legen.

Mit einem Netzwerk aus Geophonen, die schwache Schwingungen des Erdkörpers aufzeichnen können, erreichten Poli und Kollegen dieses Ziel. In Finnland werteten sie Messdaten von insgesamt 42 Stationen aus, die das Erdbrummen registriert hatten. Obwohl die Signale der Infraschallwellen sehr schwach waren, konnten sie über eine geschickte Korrelation der Daten verschiedener Messstationen den Übergang vom oberen zum unteren Erdmantel genau lokalisieren. Denn die seismischen Wellen wurden an den Grenzen dieses Übergangs in 410 und 660 Kilometer Tiefe abgelenkt. Genau diese Störungen in der Wellenausbreitung prägten sich in das Erdbrummen ein und ließen sich von Poli und Kollegen in den Messdaten identifizieren. Im Detail konnten sie sogar die Dicken der Diskontinuitäten bestimmen mit 15 Kilometern für die der obere und vier Kilometern für die untere Grenzschicht.

Die genaue Lage dieses Übergangs im Erdmantel war natürlich auf der Basis früherer Messungen lange bekannt. Doch noch nie zuvor konnten sie mit den schwachen Infraschall-Signalen des Erdbrummens bestimmt werden. Diese Ergebnisse seien ein großer Fortschritt in der Tomografie mit seismischem Rauschen, beurteilt German Prieto von der Universidad de los Andes in Bogotá die Studie. Mit einer verbesserten Signalverarbeitung der Daten eines dichten Sensornetzwerks könnten auch detailliertere Informationen aus der Übergangszone des Erdmantels gewonnen werden. Prieto hält es gar für möglich, mit dieser Methode noch tiefer in die Erde bis zur Kern-Mantel-Grenze vorzudringen. In Zukunft könnten Geowissenschaftler mit Hilfe des Erdbrummens völlig unabhängig von schweren Erdbeben die innere Struktur unseres Planetens erforschen.

Komplett neu ist die Idee, seismisches Rauschen für die Analyse der Erdstruktur zu nutzen, allerdings nicht. Doch beschränkte sie sich bisher meistens auf die feste, obere Erdkruste. Schon vor gut zwei Jahren machten Geowissenschaftler von der University of California in San Diego die wichtigsten Quellen für das Erdbrummen in einem Frequenzbereich zwischen einem Hundertstel und zehn Hertz aus. Demnach hätte das Brummen vor allem an der Pazifikküste von Nordamerika seinen Ursprung. Die zweitstärkste Quelle entdeckten Peter Bromirski und Kollegen an den Westküsten Europas. Hier trifft der langperiodische Schwell des Atlantiks auf festes Erdmaterial. Die etwas schwächere Ausprägung dieses Phänomens könnte mit der geringeren Ost-West-Ausdehnung des Atlantiks im Vergleich zum Pazifik erklärt werden.

In Zukunft könnte das seismische Rauschen nicht nur Informationen aus dem Erdinnern liefern. Mit einem immer feiner werdenden Netzwerk aus hochempfindlichen Seismometern und über Satelliten-Beobachtungen der Meereswellen könnte – laut einem Vorschlag von Sharon Kedar und Frank Webb vom JPL – das Brummen auch für die Lokalisierung von Stürmen auf ihrer Wanderung über die Ozeane genutzt werden. Selbst die Bedingungen für El-Niño-Strömungen im Pazifik sollen sich über das aufgefangene Brummen analysieren lassen.

Jan Oliver Löfken

OD

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