06.08.2015

Neues Multimeter für die Nanowelt

Unerreichte Genauigkeit bei der Messung des Oberflächenwiderstands von Silizium.

Silizium ist das mit Abstand am weitesten verbreitete Material in der Halbleiterindustrie. Doch seine elektronischen Eigenschaften sind immer noch nicht vollständig erforscht. An seiner Oberfläche leitet es den elektrischen Strom bis zu tausendmal besser als im Inneren. Wie gut genau, haben Jülicher Wissenschaftler nun mit bislang unerreichter Genauigkeit erfasst. Für ihre Messung der Oberflächenleitfähigkeit verwendeten sie ein speziell ausgerüstetes Rastertunnelmikroskop mit vier Spitzen. Der ermittelte Wert steht im Einklang mit aktuellen Ergebnissen, während ältere Messungen sich um mehrere Größenordnungen voneinander unterschieden.

Abb.: Nahaufnahme des Multispitzen-Mikroskops. (Bild: FZ-Jülich)

Wie viele andere Materialien auch, weist Silizium an seiner Oberfläche ganz besondere Eigenschaften auf. Sie gewinnen umso mehr an Bedeutung, je kleiner der Körper wird. Denn die Oberfläche wird dann im Verhältnis zum Gesamtvolumen immer größer. Aus diesem Grund rücken die speziellen Eigenschaften der Oberfläche insbesondere in der Nano- und Halbleitertechnologie in den Fokus, bei denen der Trend zu immer kleineren Elektronikbauteilen führt.„Bisher hat man Oberflächenstrukturen im Nanobereich in erster Linie nur abgebildet. Aber ich bin fest überzeugt davon, dass es in Zukunft immer wichtiger wird, nicht nur die Struktur, sondern auch die elektronischen Eigenschaften der Oberfläche zu erfassen“, betont Bert Voigtländer, Professor am Jülicher Peter Grünberg Institut (PGI-3).

Doch die Messung der grundlegenden elektronischen Oberflächen­eigenschaft, der Oberflächenleitfähigkeit, ist alles andere als einfach. Bislang war es kaum möglich, den gemessenen elektrischen Strom, der über die Oberfläche fließt, sauber vom Stromfluss durch das Innere des Materials zu trennen. Entsprechend stark streuten die Messergebnisse in den letzten 20 Jahren. Die ermittelten Werte für die sogenannte (7x7)-Oberfläche von Silizium wichen um bis zu vier Größen­ordnungen voneinander ab.

Abb.: Rastertunnelmikroskop-Aufnahme: (7x7)-Oberfläche von Silizium. (Bild: FZ-Jülich)

Bei dieser vielfach wissenschaftlich untersuchten Oberflächen­struktur ordnen sich die Atome am Rand des Silizium­kristalls aufgrund der nach außen hin abgeschnittenen Bindungen in einem Muster aus dreieckigen Zellen an. Mithilfe eines neuen Instruments konnten die Jülicher Wissenschaftler nun mit bislang unerreichter Genauigkeit messen, dass die Leitfähigkeit dieser Schicht etwa tausendmal höher ist als die einer entsprechenden Schicht im Innern des Siliziumkristalls. Die von ihnen ermittelte Oberflächenleitfähigkeit von 9 Mikrosiemens liegt in etwa in der Mitte zwischen typischen Werten für Halbleiter und Metalle. Das Ergebnis deutet in die gleiche Richtung wie die letzten Ergebnisse, die Forschungsgruppen in den Jahren 2009 und 2014 veröffentlicht hatten.

Abb.: Darstellung der starken Streuung der bisher in der Fachliteratur veröffentlichten Messwerte für die Oberflächenleitfähigkeit der (7x7)-Oberfläche von Silizium. (Bild: FZ-Jülich)

Für ihre Experimente verwendeten die Wissenschaftler um Bert Voigtländer ein Rastertunnel­mikroskop mit mehreren Spitzen, das sie speziell für die Messung der elektronischen Eigenschaften entwickelt haben. „Man kann sich das vorstellen wie ein Multimeter, also ein Gerät zur Strom- und Spannungsmessung, nur auf der Nanoskala“, erläutert Voigtländer. In der Ausgründung mProbes arbeitet Voigtländer nun daran, die Jülicher Erfindung auch anderen Forschungsgruppen zugänglich zu machen.

Dieses Multispitzen-Mikroskop bringt mithilfe spezieller vibrationsarmer Nanomotoren, der sogenannten KoalaDrives, vier Messspitzen auf engstem Raum zusammen. Während bei einem Zweispitzen-Instrument immer auch die elektrischen Widerstände an den Kontaktstellen mitgemessen werden, lässt sich mit vier Spitzen die Leitfähigkeit ermitteln, ohne dass die Kontaktwiderstände der Elektroden das Ergebnis verfälschen. Der Auswertung der Messdaten legten die Forscher ein neu entwickeltes Modell zugrunde, welches nicht nur zwischen der Stromleitung über die Oberfläche und im Inneren unterscheidet, sondern daneben auch verzweigte Übertragungswege über mehrere Schichten hinweg berücksichtigt.

Abb.: Messung der Oberflächenleitfähigkeit mit vier Spitzen zur Ermittlung der Stromstärke (A) und der elektrischen Spannung (V). (Bild: FZ-Jülich)

„Die Analyse-Methode, die wir entwickelt haben, lässt sich auch auf verschiedenste andere Systeme in der Nanoelektronik anwenden. Mithilfe unseres Ansatzes wird es beispielsweise möglich, Leckströme, die in elektronischen Bauelementen ungewollt über die leitfähigen Oberflächen fließen, exakt zu berechnen. So lassen sich deren negative Auswirkungen auf die Effizienz der Bauteile schon in der Entwicklungsphase mit berücksichtigen und so weit wie möglich minimieren. Andererseits könnten Oberflächen aber auch gezielt als zusätzliche leitfähige Kanäle genutzt werden“, erläutert Sven Just, Doktorand am Jülicher Peter Grünberg Institut. Die präzise Messtechnik schafft auch neue Möglichkeiten für den Bau von Sensoren, etwa zum Nachweis von Gasen, die im Kontakt mit der Oberfläche deren Leitfähigkeit beeinflussen.
Als nächstes Ziel haben die Forscher nun die Untersuchung von topologischen Isolatoren im Visier: Die Materialklasse gilt aufgrund ihrer ungewöhnlichen Eigenschaften als Top-Kandidat für neuartige nanoelektronische Bauelemente der Zukunft. Entsprechende Materialien verhalten sich im Innern wie ein elektrischer Isolator, der den Strom nicht leitet, während sie den elektrischen Strom an ihrer Oberfläche ähnlich gut leiten wie ein elektrischer Leiter, was die Tür zu neuen Anwendungen in der Informationsverarbeitung und Sensorik öffnen könnte.

FZ-Jülich / LK

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