Planetogenese ohne Mutterstern
Zwei einsame Gasriesen werfen neues Licht auf die Entstehung von Planeten und Sternen.
Wissenschaftler, unter ihnen auch Niall Deacon vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, haben das Bild eines ungewöhnlichen, frei im All treibenden Planeten aufgenommen. Ohne Heimatstern ist das Objekt ungleich einfacher zu untersuchen als ein normaler Planet und verspricht neue Erkenntnisse über die Eigenschaften von Planetenatmosphären. Zu der Frage, wie sich derart massearme Einzelobjekte bilden, liefern unabhängige Beobachtungen eines Teams um Viki Joergens, ebenfalls aus dem Heidelberger Institut, neue Daten: Die Forscher fanden heraus, dass ein ganz ähnliches massearmes Objekt auf die gleiche Weise geboren wird wie ein junger Stern.
Abb.: Einzelgänger I: Das Objekt PSO J318.5-22 besitzt etwa die sechsfache Masse wie der größte Planet unseres Sonnensystems und reist ohne Heimatstern durch das All – ein ideales Ziel für direkte Beobachtungen. (Bild: MPIA / V. Ch. Quetz)
Sterne entstehen aus dem Kollaps gigantischer Gaswolken; Planeten bilden sich in der Gas- und Staubscheibe rund um einen jungen Stern. Irgendwo dazwischen lagen Braune Zwerge: weniger massereich als ein Stern, sodass tief in ihrem Innern keine Kernfusionsreaktionen einsetzen konnten, aber massereicher als Planeten. Nun haben zwei Entdeckungen die Grenze zwischen diesen verschiedenen Typen von Himmelskörpern noch weiter verwischt: Danach können auch frei im All treibende Objekte mit ähnlicher Masse wie Planeten auf die gleiche Weise entstehen wie Sterne.
Die erste Entdeckung gelang einem internationalen Team unter der Leitung von Michael Liu von der Universität Hawaii. Die Astronomen fanden mit dem Pan-STARRS1-Teleskop auf Hawaii ein exotisches junges Himmelsobjekt mit gerade einmal dem Sechsfachen der Jupitermasse, das allein durch den Weltraum treibt – ganz ohne Heimatstern. Das Objekt mit der Katalognummer PSO J318.5-22 befindet sich von der Erde aus gesehen in einem Abstand von nur 80 Lichtjahren im Sternbild Steinbock. Es hat ähnliche Eigenschaften wie die gigantischen Gasplaneten, die man in der Nähe einiger junger Sonnen aufgespürt hat. Mit einem Alter von rund zwölf Millionen Jahren ist der Himmelskörper, gemessen an den Zeitskalen der Stern- und Planetenentstehung, noch recht jung.
Seit 1995 haben Astronomen rund 1000 Exoplaneten entdeckt, allerdings fast immer nur auf indirektem Wege, über ein leichtes Schlingern oder eine geringe Verdunkelung des Heimatsterns. Nur von einer Handvoll von Exoplaneten gibt es Abbildungen – und zwar jeweils von Planeten mit jungen Heimatsternen (weniger als 200 Millionen Jahre alt). In Masse, Farbe und Energieausstoß hat PSO J318.5-22 große Ähnlichkeit mit den auf diesen Bildern sichtbaren Objekten.
Niall Deacon, einer der Koautoren des Artikels über die Entdeckung, erklärt, warum der Fund für die Astronomen als Glücksfall gelten darf: „Es ist ungemein schwierig, die bisherigen Planeten, von denen es Abbildungen gibt, eingehender zu untersuchen. Direkt neben dem Planeten leuchtet schließlich jeweils der sehr viel hellere Heimatstern.”
Abb.: Einzelgänger II: Das Objekt OTS44 hat sich offenbar in der gleichen Weise gebildet wie ein Stern. Auch jetzt noch fallen beachtliche Mengen von Materie aus der umgebenden Scheibe auf OTS44. (Bild: A. M. Quetz)
PSO J318.5-22 dagegen kreise nicht um einen Stern und werde sich daher ungleich einfacher studieren lassen. „Davon erhoffen wir uns Erkenntnisse über die Eigenschaften und Strukturen von Gasriesen wie Jupiter in einer frühen Phase ihrer Entwicklung”, sagt Deacon. Mit nur sechs Jupitermassen ist PSO J318.5-22 eines der masseärmsten frei im All treibenden Objekte, die man außerhalb unseres Sonnensystems nachgewiesen hat – womöglich sogar das masseärmste.
Herkömmliche Planeten werden in Gas- und Staubscheiben rund um ihren in Entstehung befindlichen Heimatstern geboren. Aber wie sieht es bei Einzelobjekten mit so geringer Masse aus? Können sich frei treibende Objekte, aber etwa auch Braune Zwerge ganz allgemein, auf die gleiche Weise bilden wie herkömmliche Sterne? Eine umfangreiche Untersuchung, die eine weitere Gruppe von Astronomen unter der Leitung von Viki Joergens zeitgleich veröffentlicht hat, legt das nahe.
Joergens und ihre Kollegen untersuchten ein Objekt mit der Katalognummer OTS44, das nur rund zwei Millionen Jahre alt ist – auf den Zeitskalen der Planeten- und Sternentstehung gleichsam ein Neugeborenes. Das Objekt hat eine Masse vom schätzungsweise Zwölffachen des Jupiters – also etwas mehr als PSO J318.5-22. Es treibt ebenfalls ohne Heimatstern durch das All – jedoch in einem durchaus belebten Gebiet: OTS44 ist Teil der Sternentstehungsregion im südlichen Sternbild Chamaeleon, etwas mehr als 500 Lichtjahre von der Erde entfernt.
Genau wie ein junger Stern ist OTS44 von einer Scheibe aus Gas und Staub umgeben. Und, wie die Gruppe um Joergens gezeigt hat: Die Geburt ist noch gar nicht ganz abgeschlossen. Die Astronomen zerlegten das Licht von OTS44 mittels des SINFONI-Spektrografen am Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte in seine Bestandteile. Dabei fanden sie Anzeichen dafür, dass OTS44 auch jetzt noch Materie aus der ihn umgebenden Scheibe auf sich zieht und so an Masse zunimmt.
Durch den Vergleich von Daten verschiedener Teleskope – unter anderem des Weltraumteleskops Herschel – mit einem sorgfältig rekonstruierten Modell des freifliegenden Planeten konnten Joergens und ihre Kollegen außerdem nachweisen, dass die Scheibe, die OTS44 umgibt, mindestens dreißigmal soviel Masse in sich vereint wie die Erde. Anzeichen für die Scheibe selbst waren bereits zuvor von anderen Astronomen nachgewiesen worden.
Sowohl die beachtliche Scheibe als auch das einfallende Material dürfen als klare Hinweise auf Entstehungsprozesse gelten, wie sie für die Sterngeburt typisch sind. Zumindest von der Entstehung her scheint es keinen grundlegenden Unterschied zwischen Objekten wie OTS44 und herkömmlichen Sternen zu geben. OTS44 hat dabei mit die niedrigste Masse aller Objekte, bei denen man eine Scheibe und einfallendes Material nachgewiesen hat.
„Wir sehen also, dass OTS44 genauso geboren wird wie ein normaler Stern”, sagt Joergens. Für die Forscher, die sich mit der Sternentstehung beschäftigen, sei das eine Schlüsselinformation, denn: „Von Sternen bis hinunter zu Einzelobjekten mit der Masse von Planeten laufen die gleichen Prozesse ab.”
Beide Objekte fügen sich nicht recht in die existierenden Kategorien ein. Einsamer Planet oder Brauner Zwerg mit extrem geringer Masse? Wer auf Nummer sicher gehen möchte, der sollte allgemeiner von frei schwebenden Objekten mit planetaren Massen reden. „Hier haben wir ein weiteres Zeichen dafür, dass unsere herkömmliche Einteilung von Planeten und Sternen, bei der man die Masse als Anhaltspunkt nimmt, uns nichts über die innere Struktur oder die Entwicklungsgeschichte solcher Objekte verrät”, sagt Hubert Klahr vom Max-Planck-Institut für Astronomie, ein Fachmann für die Simulation von Stern- und Planetenentstehung.
HOR / MP / DE