01.07.2016

Plattentektonik wie geschmiert

Tief eindringendes Wasser an ultralangsamen mittelozeanischen Rücken erzeugt aseismische Gebiete.

Die Erdbebenverteilung an ultralangsamen mittelozeanischen Rücken unterscheidet sich grundlegend von der anderer Spreizungs­zonen. Bis in 15 Kilometer Tiefe zirkulierendes Wasser führt hier zur Bildung eines Gesteins, welches wie Schmierseife wirkt. So driften die Kontinental­platten an ultralangsamen mittel­ozeanischen Rücken ohne zu ruckeln, während dieser Vorgang in anderen Regionen zu vielen kleinen Erdbeben führt. Das berichten Geophysiker vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeres­forschung (AWI).

Abb.: Aussetzen eines Ozeanboden-Seismometers in den Roaring Fourties (Bild: AWI)

Wo Kontinentalplatten aufeinandertreffen, türmen sich Gebirge wie der Himalaja auf. Genauso spektakulär, aber in den Tiefen der Ozeane verborgen, sind die Gebiete, wo die Kontinente auseinander­driften: die mittel­ozeanischen Rücken. Am Meeresgrund wird wie am Förderband neuer Ozeanboden – die Ozean­lithosphäre – gebildet, indem Magma aus größeren Tiefen nach oben strömt und die entstehende Lücke zwischen den Litho­sphären­platten füllt. Bei diesem Spreizungs­prozess ruckelt es und kleine Erdbeben entstehen „am laufenden Band“. Diese Erdbeben verraten viel über die Entstehung und Struktur neuer Ozean­lithosphäre. Bei sogenannten ultra­langsamen Rücken driften die Lithosphären­platten so langsam auseinander, dass das Förder­band ruckelt und stottert und temperatur­bedingt nicht genug Schmelze da ist, um die Lücke zwischen den Platten zu füllen. So wird der Erd­mantel an vielen Stellen direkt an den Meeres­boden gefördert, ohne dass Erdkruste entsteht. An anderen Stellen entlang dieser Rücken findet man wiederum riesige Vulkane.

Ultralangsame Rücken befinden sich unter dem Meereis der Arktis und südlich von Afrika am Südwest­indischen Rücken in den berüchtigten See­gebieten der „Roaring Fourties“ und „Furious Fifties“. Weil diese Seegebiete so schwierig zu erreichen sind, hat noch niemand Erdbeben vor Ort gemessen. So war bis heute über Struktur und Entstehung von gut zwanzig Prozent des globalen Meeres­bodens wenig bekannt.

Mit dem Forschungsschiff Polarstern als zuverlässigem Arbeitstier auch in schwerer See haben es Wissenschaftler um Vera Schlindwein vom AWI nun erstmals gewagt, ein Netzwerk von Ozean­boden­seismometern (OBS) am Südwest­indischen Rücken in den „Furious Fifties“ auszubringen und nach einem Jahr vor Ort wieder zu bergen. Ein zweites Netzwerk stand zeitgleich an einem Vulkan in gemäßigteren Breiten des Südwest­indischen Rückens. „Belohnt wurden unsere Mühe und unser Risiko nun mit einem einmaligen Erdbeben­datensatz, der zum ersten Mal tiefe Einblicke in die Funktions­weise der Ozean­boden­bildung bei sehr langsamen Spreizungs­raten gibt“, berichtet Schlindwein.

Ihre Ergebnisse stellen die bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Funktionsweise ultra­langsamer mittel­ozeanischer Rücken auf den Kopf: Schlindwein und ihr Doktorand Florian Schmid fanden heraus, dass Wasser bis in 15 Kilometern Tiefe der jungen Ozean­lithosphäre – also der Erdkruste und des äußeren Teils des Erdmantels – zirkuliert. Kommt dieses Wasser mit Erdmantel­gestein in Kontakt, so bildet sich ein grünliches Gestein namens Serpentinit. Schon geringe Mengen von zehn Prozent Serpentinit in Erdmantel­gesteinen reichen aus, damit sich das Gestein ohne jegliche Erdbeben wie auf Schmier­seifen­bahnen bewegen kann. Solche aseismischen Gebiete, scharf begrenzt von vielen kleinen Erdbeben, entdeckten die Forscher in ihren Daten.

Bisher glaubte man, dass Serpentinit sich nur in der Nähe von Störungs­zonen und nahe der Oberfläche bildet. „Unsere Daten legen nun nahe, dass Wasser durch ausgedehnte Bereiche der jungen Ozean­lithosphäre zirkuliert und dabei im Gestein gebunden wird. Wärme und z.B. Methan werden freigesetzt und zwar in Dimensionen, die man vorher nicht abgesehen hat“, sagt Vera Schlindwein.

Mit den Ozeanbodenseismometern konnten die AWI-Geophysiker die aktiven Spreizungs­prozesse nun direkt beobachten – und zwar vergleichend an vulkanischen und nicht vulkanischen Rücken­abschnitten. „Wir können anhand der Verteilung der Erdbeben zum ersten Mal bei der Entstehung neuer Lithosphäre bei ganz langsamen Spreizungs­raten quasi zusehen. Einen solchen Datensatz hat es von den ultra­langsamen Rücken noch überhaupt nicht gegeben“, berichtet Schlindwein.

„Uns hat es anfangs sehr überrascht, dass Erdbeben in den Gebieten ohne Erdkruste bis in 15 Kilometer Tiefe völlig fehlten, obwohl OBS direkt darüber standen. In größeren Tiefen sowie in vulkanischen Gebieten nebenan hingegen, wo Basalt am Meeresboden zu finden ist und eine dünne Erdkruste existiert, bebte es munter in allen Tiefen­bereichen“, beschreibt Schlindwein den ersten Blick in die Daten, nachdem sie mit der Polarstern die OBS im Jahr 2014 wieder geborgen hatte.

Die Ergebnisse beeinflussen auch andere Disziplinen der Meeres­forschung: Geologen denken über andere Deformations­mechanismen der jungen Ozean­lithosphäre nach. Denn Gestein, das sich wie Schmierseife verhält, erlaubt ganz andere Deformation, die vielleicht Grundlage des sogenannten „smooth seafloor“ sein könnte, der nur von ultra­langsamen Rücken bekannt ist. Ozeanographen interessieren sich für Wärme­eintrag und Spurengase in der Wasser­säule in solchen Gebieten, die bisher für nicht vulkanisch und „kalt“ gehalten wurden. Für Biologen ist der in weiten Bereichen zu erwartende erhöhte Ausstrom von Methan und Sulfiden am Meeres­boden von Interesse, der eine wichtige Lebens­grundlage für Tief­see­organismen bildet.

AWI / DE

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