17.01.2014

Rosetta: Wecken um elf

Nach zweieinhalbjähriger Hibernation soll die europäische Raumsonde am 20. Januar ihre Arbeit wieder aufnehmen.

Tief im Weltall, etwa 814 Millionen Kilometer von der Erde entfernt, klingelt am kommenden Montag ein Wecker: Um 11 Uhr Mitteleuropäischer Zeit setzt eine Zeitschaltuhr an Bord der ESA-Raumsonde Rosetta eine Serie interner Kommandos in Gang. Die Navigationsinstrumente werden langsam erwärmt und beginnen, sich am Sternenhimmel zu orientieren; die Sonde, die bisher um die eigene Achse rotierte, stabilisiert sich, richtet ihre Hauptantenne zur Erde aus und funkt dann – erstmals nach mehr als 30-monatigem Winterschlaf – ein Signal zur Erde. Frühestens ab 18.30 Uhr erwartet das Kontrollzentrum der europäischen Raumfahrtorgansisation ESA in Darmstadt das erlösende Signal: Alles okay, Rosetta ist wach!

Abb.: Das Rendezvous von Rosetta mit dem Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko wird alles andere als flüchtig, mindestens bis Ende 2015 soll die Sonde den Schweifstern begleiten. Im November dieses Jahres soll die Landeeinheit Philae auf seiner Oberfläche aufsetzen. (Bild: ESA / C. Carreau, ATG medialab)

Dieser Weckruf läutet die letzte Etappe einer mehr als zehnjährigen Reise durch das Sonnensystem ein. An deren Ende steht im August dieses Jahres die einzigartige Begegnung von Rosetta mit dem Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko, kurz: 67P. Anders als bei früheren Missionen, bei denen die Sonden mit hohen Geschwindigkeiten am jeweiligen Kometen vorbeirasten, soll Rosetta mindestens bis Ende Dezember 2015 um den Kometen kreisen, ihn auf seinem Weg in Richtung Sonne begleiten und mithilfe ihrer elf wissenschaftlichen Instrumente aus nächster Nähe untersuchen. Im November dieses Jahres soll die Landeeinheit Philae, ausgestattet mit neun weiteren Experimenten, auf der Kometenoberfläche aufsetzen – ein Novum in der Geschichte der Raumfahrt.

Bevor es soweit ist, nutzt Rosetta die verbleibende Anflugphase, um alle Systeme und Instrumente Schritt für Schritt zum Leben zu erwecken. Kalibrieren, testen, optimieren: Auch am MPI für Sonnensystemforschung in Katlenburg-Lindau beginnt nun die heiße Phase der Mission. Die Wissenschaftler leiten und überwachen drei der Instrumente: das Kamerasystem OSIRIS und den Staubanalysator COSIMA an Bord des Rosetta-Orbiters sowie den Gasanalysator COSAC auf der Landeeinheit Philae. Zudem haben die Max-Planck-Wissenschaftler maßgebliche Teile der Landeeinheit wie etwa den Abstoßungs- und Dämpfungsmechanismus entwickelt und gebaut sowie zu fünf weiteren Instrumenten Hardware-Komponenten beigetragen.

Abb.: Der Staubanalysator COSIMA wird Kometenmaterial aus der Atmosphäre von 67P untersuchen. Dabei soll das Instrument vor allem organische Moleküle identifizieren. (Bild: MPE / MPS)

„Tschuri“ ist derweil auf dem Weg ins innere Sonnensystem. Wie alle Kometen der Jupiterfamilie verbringt 67P den Großteil seines Daseins in den eisigen Tiefen des Planetensystems in einem ähnlichen Abstand von der Sonne wie der Gasriese. Dort zeigen sich diese Himmelskörper oft als tote Klumpen aus gefrorenen Gasen wie Wasser und Kohlendioxid sowie Stein.

Ihren Ursprung haben sie wahrscheinlich im Kuiper-Gürtel jenseits der Neptunbahn. Sie ist mehr als dreißigmal so weit von der Sonne entfernt wie die Erde und mit Tausenden kosmischer Brocken bevölkert, wie Modellrechnungen nahelegen. Durch den Einfluss des Neptuns verlagert sich die Bahn einzelner Körper nach und nach zu den anderen Gasriesen im Planetensystem bis hin zu Jupiter. „Trotz dieser Wanderung – und der möglicherweise vorangegangenen Kollisionen – gehören Kometen der Jupiterfamilie zu dem unverfälschtesten Material, das aus der Geburtsstunde des Sonnensystems vor mehr als 4,6 Milliarden Jahren erhalten ist“, sagt MPS-Direktor Ulrich Christensen.

Abb.: Die dreibeinige Landeeinheit Philae soll im November dieses Jahres auf dem Kometen landen. (Bild: ESA)

Für Forscher zugänglich wird diese gefrorene Urmaterie, wenn sich der Komet auf seiner Bahn der Sonne nähert. Bei 67P ist das etwa alle sechseinhalb Jahre der Fall. Die Oberfläche erwärmt sich, Wasser und andere gefrorene Gase verdampfen und reißen winzige Staubteilchen mit sich. Der Komet wird aktiv, bildet eine Atmosphäre und den charakteristischen Schweif aus. Dieses Kometenmaterial soll Rosetta genauer untersuchen. „Die Raumsonde ist eine Art Labor, das vor Ort am Kometen betrieben wird“, sagt Martin Hilchenbach, Leiter des COSIMA-Teams. In den mikroskopischen, blumenkohlförmigen Poren weniger Millimeter großer Träger sammelt der Staubanalysator COSIMA einzelne Partikel, die unter einem Mikroskop zunächst geortet und dann mit Indiumionen beschossen werden. Die Ionen, die sich auf diese Weise aus der Oberfläche der Staubpartikel lösen, lassen sich dann weiter analysieren. „Dabei können wir nicht nur einzelne Elemente, sondern vor allem auch organische Moleküle identifizieren“, erläutert Hilchenbach.

Kometen enthalten viele organische Verbindungen. Selbst komplexe Strukturen wie Aminosäuren, die Bausteine der Eiweiße, hat man entdeckt. Wissenschaftler halten es deshalb für möglich, dass Kometeneinschläge einst der jungen Erde solche Stoffe lieferten – und mit ihnen die Bausteine des Lebens. „Rosetta eröffnet uns nicht nur die Möglichkeit, die genauen Verhältnisse und Mengen der organischen Bestandteile zu bestimmen“, so Hilchenbach. „Erstmals können wir auch genau verfolgen, wie sich die Zusammensetzung der Staubteilchen mit der Aktivität des Kometen entwickelt.“

Churyumov-Gerasimenko ist eher zufällig zum Ziel von Rosetta geworden. Zunächst hatte die ESA eigentlich den Kometen 46P/Wirtanen ins Auge gefasst. Doch als 2003 der Start der Raumsonde wegen Problemen mit der Trägerrakete Ariane-5 verschoben werden musste, waren die Forscher gezwungen, sich nach einem neuen Zielkometen umzusehen. Die Wahl fiel schließlich auf 67P, einen unregelmäßig geformten Körper mit einem mittleren Durchmesser von etwa vier Kilometern.

Der unscheinbare Brocken, der sich 1969 am Institut für Astrophysik in Alma Ata auf einer Fotoplatte seiner Entdecker Klim Iwanowitsch Churyumov und Swetlana Gerasimenko erstmals abzeichnete, wird nun Raumfahrtgeschichte schreiben. Im November dieses Jahres soll die dreibeinige Landeeinheit von Rosetta, auf seiner Oberfläche aufsetzen. „Was Philae dort erwartet, ist sehr ungewiss“, sagt Christensen.

MPS / AH

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