02.09.2015

Rotverschiebung statt Navigationsdaten

Fehlgeleitete Galileo-Satelliten für Forschungsmission zur Allgemeinen Relativitätstheorie freigegeben.

Als im August 2014 bekannt wurde, dass die Galileo-Satelliten 5 und 6 nicht die vorgesehene Höhe erreichten, erkannte Claus Lämmerzahl, geschäfts­führender Direktor des ZARM, darin sofort einen möglichen Glücksfall für seine Forschungen zu Einsteins Relativitätstheorie. Inzwischen hat er vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt die Genehmigung und Unter­stützung für ein „wissenschaftliches Recycling“-Projekt erhalten und beginnt im Oktober mit der Auswertung der Galileo-Daten.

Abb.: Umlaufbahn der Galileo-Satelliten aus der Vogelperspektive. (Bild: ESA)

„Milena“ und „Doresa“ sollten ursprünglich die Erde in 23.000 Kilometern Höhe umkreisen und als Teil des europäischen GPS-Systems hochpräzise Navigationsdaten liefern. Aufgrund von eingefrorenen Treibstoffleitungen auf der russischen Sojus-Trägerrakete wurden die beiden Satelliten statt auf der geplanten Kreisbahn auf einer elliptischen Umlaufbahn ausgesetzt und sind folglich für diesen Zweck nicht mehr geeignet. Da ihr Abstand zur Erde regelmäßig zwischen 17.500 und 25.000 Kilometern variiert, lassen sich die von den Satelliten gespeicherten Zeitdaten allerdings hervorragend zur Untersuchung der gravitativen Rotverschiebung verwenden. Diese Rotver­schiebung ist eine zentrale Vorhersage der Allgemeinen Relativitätstheorie.

Das bisher genaueste Experiment zur gravitativen Rotverschiebung fand 1978 statt. Damals wurde in einem Raketenversuch der Einfluss der Gravitation auf zwei identische hochgenaue Uhren untersucht, von denen sich eine auf der Erde und die andere in der Rakete befand, die einmalig auf 10.000 Kilometer Höhe geschossen wurde. Die von der Allgemeinen Relativitätstheorie vorher­gesagte Beeinflussung der Zeit durch die Gravitation konnte mit diesem Experiment bis auf die vierte Nachkommastelle genau nachgewiesen werden. Da die Galileo-Satelliten nicht nur einmalig, sondern zweimal täglich ihre Höhe um fast 8.000 Kilometer ändern, liefern sie eine immense Datenmenge, von der Lämmerzahl erwartet, den Effekt der Rotverschiebung mit einer um den Faktor 10 verbesserten Genauigkeit nachweisen zu können.

In den vergangen Jahrzehnten haben zahlreiche Forschungsteams Projekt­anträge zur präziseren Messung der gravitativen Rotverschiebung eingereicht, von denen viele aufgrund sehr hoher technologischer Anforderungen und extrem hohen Kosten solcher Missionen nicht bewilligt wurden. Da die fehlgeleiteten Galileo-Satelliten aber ebenfalls mit hochpräzisen Atomuhren – die Abweichung beträgt nur etwa eine Sekunde in einer Million Jahren – ausgestattet sind, erfüllen sie in dieser Beziehung die Anforderungen solcher Forschungsmissionen und stehen ab sofort zu vergleichsweise geringen Kosten zur Verfügung.

ZARM /RK

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