24.09.2014

Sonne explodiert im Rechner

Baustein für Vorhersage der Häufigkeit starker Eruptionen entwickelt.

Bei Sonneneruptionen werden ungeheure Energiemengen freigesetzt, die millionenfach größer sind als bei Vulkanexplosionen. Bei starken Explosionen kommt es oft zu einem Masseausstoß aus dem äußersten Teil der Sonnenatmosphäre, der Korona. Trifft ein koronaler Massenauswurf auf die Erde, kann er einen geomagnetischen Sturm auslösen. Schwere Stürme können Satelliten, den Funkverkehr und elektrische Anlagen stören. Als im Herbst 2003 einige der bisher stärksten Eruptionen auf der Sonne registriert wurden, fiel in Südschweden der Strom aus und Flugrouten mussten umgeleitet werden, weil Kommunikationsverbindungen über den Polregionen zusammenbrachen.

Abb.: Diese Sonneneruption wurde mit einer Kamera des Nasa-Satelliten SDO am 10. Juni 2014 aufgenommen. (Bild: Nasa/SDO)

Forscher konnten nun in der Prognose solcher Störungen einen Schritt weiter gehen. Je weniger Zeit zwischen zwei Explosionen in der Sonnenatmosphäre verstreicht, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass der zweite Ausbruch stärker ist als der erste. Dies haben Hans Jürgen Herrmann und sein Team von der ETH Zürich mit Hilfe von Modellrechnungen gezeigt.

Die Wissenschaftler haben dazu untersucht, was bei den Explosionen auf der Sonne geschieht. In einem Computermodell konnten sie die statistische Größenverteilung und zeitliche Abfolge der Eruptionen korrekt nachbilden. „Die Übereinstimmung mit Satellitenmessungen ist beeindruckend", vemelden die Forscher. Die Sonne sei eigentlich gar nicht sein Thema, sagt Hans Herrmann, Professor am Institut für Baustoffe. Der theoretische Physiker ist Fachmann für Computerphysik und hat eine Methode entwickelt, mit der sich Phänomene aus verschiedensten Gebieten untersuchen lassen. Ähnliche Muster wie bei Sonneneruptionen findet man auch bei Erdbeben, Lawinen oder dem Börsenmarkt.

„Natürlich haben die Sonnenexplosionen keinen Zusammenhang mit den Börsenkursen", sagt Herrmann. Doch im Kern zeigen diese Systeme alle ein ähnliches Verhalten: Sie können sich verhaken, bis ein bestimmter Schwellenwert erreicht ist. Dann entladen sie sich. Die Masse oder Energie, die man in ein System stecke, werde also nicht kontinuierlich wieder abgegeben, sondern stoßweise, erklärt Herrmann. Die Fachleute sprechen von selbstorganisierter Kritizität. Ein Beispiel dafür ist ein Sandhaufen, auf den Körner herabrieseln. Der Haufen wächst, bis sich ab und zu eine Lawine löst. Kleinere Rutschungen sind häufiger, große seltener. Über lange Zeiten betrachtet bleibt der Haufen gleich hoch, er organisiert sich selbst um einen kritischen Zustand.

Bei Sonneneruptionen wird magnetische Energie, die sich aufgestaut hat, plötzlich frei gesetzt. Die Sonne besteht aus einem heißen Plasma aus Elektronen und Ionen. Aus der Sonnenoberfläche, Photosphäre genannt, wachsen Magnetfeldlinien bis in die Sonnenkorona heraus. Es bilden sich Bündel aus Feldlinien, sogenannte Magnetfeldschläuche, die sich bewegen und verdrehen. Überkreuzen sich zwei Schläuche, so vereinigen sie sich (Physiker sprechen von einer Rekombination), und es kommt zu einer Explosion, bei der große Mengen elektromagnetischer Strahlung entweichen. Das betreffende Gebiet auf der Sonne leuchtet hell auf als sogenanntes Solar Flare. Die Strahlung erstreckt sich über das gesamte elektromagnetische Spektrum von Radiowellen über sichtbares Licht bis zu Röntgen- und Gammastrahlen.

Aus Beobachtungen weiß man, dass die Größenverteilung der Solar Flares statistisch einer bestimmten Gesetzmäßigkeit folgt: „Es gibt beliebig große Ereignisse, diese sind aber beliebig selten", sagt Herrmann. Mathematisch ausgedrückt handelt es sich um eine skalenfreie Energieverteilung, die einem Potenzgesetz folgt.

Bisherige Computermodelle konnten diese statistische Größenverteilung zwar qualitativ nachbilden, sie erlaubten aber keine quantitativen Aussagen. Ein Modell, das auf der Kreuzung der Magnetschläuche und damit auf der selbstorganisierten Kritizität basierte, vernachlässigte eine wichtige Tatsache, sagt Herrmann: „Das System ist turbulent." Die Magnetfeldlinien bewegen sich in der Sonnenkorona nicht zufällig, sondern sind im turbulenten Plasma der Photosphäre verankert, dessen Verhalten sich mit der Fluiddynamik, der Wissenschaft von der Bewegung von Flüssigkeiten und Gasen, beschreiben lässt. Berechnungen, die sich ausschliesßlich auf die Turbulenz des Plasmas stützten, konnten die beobachteten Muster beim Auftreten der Solar Flares allerdings auch nicht vollständig reproduzieren.

Herrmann und sein Team kombinierten deshalb selbstorganisierte Kritizität und Fluiddynamik und schafften damit einen Durchbruch. „Uns ist es gelungen, das gesamte Bild, wie die Solar Flares auftreten, wiederzugeben", sagt der Forscher. Mit wochenlangen Rechnungen auf einem Supercomputer konnte das Team zeigen, dass sein Modell immer korrekte Resultate lieferte, auch wenn Details wie beispielsweise die Zahl der Magnetschläuche oder die Energie des Plasmas geändert wurden. Im Gegensatz zu den früheren Versuchen anderer Forscher stimmten die Resultate auch quantitativ mit den Beobachtungen überein.

Aus ihren Berechnungen schließen die Wissenschaftler: „Die Turbulenz und die Wechselwirkung zwischen den Magnetschläuchen sind die wesentlichen physikalischen Bestandteile, die das Auftreten der Solar Flares kontrollieren." Dieser Nachweis von zeitlich-energetischen Zusammenhängen sei der erste Schritt für ein Vorhersagemodell. Doch Herrmann warnt: „Unsere Aussagen sind statistisch." Man könne deshalb nur Wahrscheinlichkeiten voraussagen. Prognosen einzelner Ereignisse seien nicht möglich.

ETH Zürich / PH

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