04.02.2015

Stabiler selbstorganisierter Strom

Stromnetz kann auch mit dezentraler Steuerung stabil bleiben.

Der Ausbau der regenerativen Energien geht in Deutschland weiter flott voran. Seit Anfang 2014 decken Einspeisungen aus erneuerbaren Energiequellen mehr als 28 Prozent des deutschen Stromverbrauchs – ein neuer Rekord. Doch mit dem Mehr an Solar- oder Windparks nehmen auch Schwankungen im Stromnetz zu. Wenn sich eine Wolkenfront über Süddeutschland schiebt, liefern die Photovoltaikanlagen plötzlich weniger Strom. Und wenn ein Sturm aufzieht, erhöht sich schlagartig die Stromproduktion in den Windparks und schwankt noch stärker als ohnehin schon. Das klassische Stromnetz kennt solche Schwankungen nicht, denn die Generatoren in den Kohlekraftwerken und den verbliebenen Atomkraftwerken schnurren tagein, tagaus gleichmäßig dahin und liefern konstant Strom.

Abb.: Dezentral organisierte Stromversorgung in einem intelligenten Stromnetz (Bild: B. Schäfer, MPIDS)

Die zunehmenden Einspeise-Schwankungen müssen künftig verstärkt mit den gleichzeitig schwankenden Stromverbräuchen abgeglichen werden. Liefern Wind und Sonne viel Energie, sollen zum Beispiel Kühlaggregate in Rechenzentren und Lagerhäusern, Kühlschränke daheim oder Ladegeräte für Elektroautos hochgefahren werden. Herrscht Flaute, sollen sie vorübergehend in den Ruhezustand gehen. Um das zu erreichen, wollen Energieversorger ihre Kunden künftig mit Stromsteuergeräten, sogenannten Smart-Metern, ausrüsten. Diese werden in Haushalten oder bei Firmenkunden installiert und liefern ihre Daten automatisch an den Energieversorger. Je nach Stromangebot sollen dann die Haushalts- und Industriegeräte an- oder abgeschaltet werden. Die Motivation für den Kunden besteht unter anderem darin, dass er bei hohem Stromangebot Energie zu niedrigen Preisen beziehen kann. Um Stromangebot und -nachfrage aufeinander abzustimmen, bringen Forscher des Göttinger Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation nun ein Konzept ins Spiel, das auf eine dezentrale Abstimmung von Stromangebot und -nachfrage setzt.

Die heute existierenden Konzepte eines künftigen intelligenten Stromnetzes (Smart-Grid) gehen davon aus, dass die Daten aller Verbraucher und Erzeuger zentral beim Energieversorger gesammelt werden. Doch das birgt nach Ansicht des Physikers Benjamin Schäfer vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation verschiedene Risiken: „Eine solche zentrale Steuerung ist ein potenzielles Angriffsziel für Hacker.“ Breche jemand über das Internet in die Steuerzentrale ein, könne er im schlimmsten Fall das Versorgungsnetz lahmlegen. In Zeiten zunehmender Internet-Kriminalität ist das ein ernstzunehmendes Szenario. „Ungeklärt ist bisher außerdem, wie der Datenschutz gewährleistet werden soll, wenn ständig Verbrauchsdaten der Kunden an eine zentrale Stelle übermittelt werden.“

Benjamin Schäfer, der in der Arbeitsgruppe „Netzwerkdynamik“ von Marc Timme arbeitet, hat deshalb untersucht, ob eine zentrale Steuerung überhaupt sein muss. Den Impuls zu diesem Projekt gab ein Kooperationspartner der Max-Planck-Forscher, der Geschäftsführer der Firma Easy Smart Grid aus Karlsruhe Thomas Walter. Seine Firma entwickelt Systemlösungen für den Betrieb dezentraler Energienetze – also von Stromnetzen, in denen der Strom nicht mehr nur zentral in großen Kraftwerken, sondern zunehmend von vielen kleinen Erzeugern geliefert wird. In dieser ersten Studie hat Benjamin Schäfer zusammen mit Marc Timme, seinem ehemaligen Kollegen Dirk Witthaut und dem Studenten Moritz Matthiae untersucht, ob und wie die Smart-Meter bei den Kunden den Verbrauch direkt und dezentral regeln können, ohne den Umweg über die zentrale Steuerung beim großen Energieversorger zu gehen.

Die Physiker entwickelten dafür ein mathematisches Modell, in dem sie die Stromerzeuger und Verbraucher simulierten. Die Frage war, ob das Gesamtnetz stabil bleibt, wenn die dezentrale Regelung bei jedem Verbraucher vor Ort erfolgt und nicht mehr über die Abstimmung mit dem zentralen Energieversorger. Würde sich das Netz quasi selbst organisieren können? Grundsätzlich nutzt man als Messgröße für die Regelung die sogenannte Netzfrequenz, also jene Frequenz, mit der Wechselstrom im Versorgungsnetz schwingt. Sie beträgt 50 Hertz und darf durch Schwankungen im Netz höchstens um 0,2 Hertz von diesem Soll abweichen. Verdunkelt etwa eine Gewitterfront Solarparks oder wirft ein Aluminiumwerk seine Maschinen an, wird vor Ort weniger eingespeist und die Frequenz sinkt leicht. Liefert die Sonne wieder mehr Strom oder werden große elektrische Verbraucher ausgeschaltet, ist mehr elektrische Energie verfügbar und die Frequenz steigt. Die Stromnetzbetreiber müssen aktiv gegensteuern, um die Frequenz von 50 Hertz zu halten und Störungen zu vermeiden.

Schäfer und seine Kollegen konnten nun zeigen, dass sich solche Störungen tatsächlich abpuffern lassen, wenn die Stromsteuergeräte direkt reagieren. Die Smart-Meter sind also durchaus in der Lage, Frequenzänderungen als Messgröße zu nutzen und den Stromverbrauch der angeschlossenen Elektrogeräte selbst zu steuern. Schäfer meisterte in seiner Analyse zudem eine besondere Herausforderung. Bekannt ist, dass viele Geräte nur mit einer Verzögerung auf kurzfristige Frequenzänderungen im Netz reagieren, die mitunter innerhalb von Millisekunden auftreten – ein Kühlschrank etwa reagiert verzögert, wenn zunächst der Kompressor an- oder abgestellt werden muss. Und der Router, der künftig die elektrischen Geräte im Haus steuern soll, benötigt Rechenzeit. Schäfer fragte sich, wie groß eine solche Verzögerung sein darf und ob sie es vielleicht ganz unmöglich macht, Frequenzschwankungen direkt über die Smart-Meter bei den Verbrauchern zu steuern.

Seine Resultate sind erfreulich. Er stellte fest, dass die Smart-Meter nicht sofort reagieren müssen, weil sich kleinere Schwankungen oftmals innerhalb weniger Sekunden oder in Sekundenbruchteilen selbst ausbalancieren. Bei größeren Schwankungen wiederum ist eine solche Verzögerung sogar sinnvoll. So ist es ideal, wenn die Smart-Meter die Frequenzwerte zunächst über einige Sekunden mitteln und dann regulierend eingreifen und den Verbrauch entsprechend anpassen. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass stets genügend Smart-Meter und elektrische Geräte aktiviert werden, damit der Einfluss auf das Stromnetz groß genug ist. „Bislang gab es kaum eine Studie, die im Detail analysiert hat, ob ein Smart-Grid ohne zentrale Steuerung überhaupt funktionieren kann. Unsere Analyse hat nun erstmals gezeigt, dass das prinzipiell möglich ist“, sagt Marc Timme.

Der Vorteil einer solchen dezentralen Steuerung wäre gewaltig. Insbesondere entfiele der Aufbau einer großen Kommunikationsinfrastruktur, die ansonsten künftig Millionen von Smart-Metern mit den großen Energieversorgern verbinden müsste.

MPG / DE

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