23.09.2014

Topologische Überraschung in Graphen

Lifshitz-Übergänge in Kohlenstoff-Schichtstruktur nachgewiesen.

In Experimenten konnten Forscher der ETH Zürich ein Phänomen nachweisen, das ein russischer Physiker vor über 50 Jahren vorhergesagt hatte. Sie untersuchten eine Schichtstruktur, von der sich die Fachleute ungeahnte Möglichkeiten erhoffen. Die beiden nun veröffentlichten Arbeiten stützen sich auf Messungen am selben elektronischen Bauelement, einer Sandwichkonstruktion mit Graphen. Einlagiges Graphen ist extrem stabil, elastisch und leitfähig. Besonders interessant für elektronische Anwendungen wird Graphen, wenn man zwei Schichten übereinander legt. Doppellagig wird es zum Halbleiter, mit dem sich elektronische Schalter konstruieren lassen.

Abb.: Schematischer Aufbau des Sandwich-Bauelements oben, optische Mikroskop-Aufnahme zweier Bauelemente unten. (Bild: A. Varlet, APS)

Die Qualität des Bauelements war so gut, dass die Forscher bei ihren Messungen ein unerwartetes Resultat erzielte. „Wir konnten einen sogenannten Lifshitz-Übergang nachweisen", sagt Anastasia Varlet, die die Experimente maßgeblich betrieben hat. Um zu erklären, worum es sich dabei handelt, greifen die Physiker zu Kaffeetasse und Wasserglas. Mathematisch gesprochen hat eine Tasse dieselbe Topologie wie ein Donut. „Ein Glas hingegen ist topologisch das Gleiche wie ein Apfel", erklärt der Leiter der Arbeitgruppe, Klaus Ensslin.

Verändert man die Topologie eines Objekts, kann man dessen Zweckmäßigkeit verbessern, zum Beispiel wenn man einen Becher in eine Tasse mit Henkel verwandelt. Genau dies gelang den Forschern mit Hilfe von doppellagigem Graphen. Denn ein Lifshitz-Übergang ist ein Wechsel von einer Topologie zu einer anderen. Benannt ist er nach dem russischen Physiker, der diese Möglichkeit 1960 vorausgesagt hat. Allerdings geht es dabei nicht um Objekte in unserer normalen Umgebung. Vielmehr untersuchen die Physiker bei elektronischen Materialien eine abstraktere Topologie von Flächen, mit denen die Energiezustände der Elektronen beschrieben werden. Insbesondere betrachten die Forscher Flächen konstanter Energie, denn diese bestimmen die Leitfähigkeit des Materials und damit deren Anwendungspotential.

Bisher fehlte das richtige Material, dass Wissenschaftler einen solchen Lifshitz-Übergang im Experiment zeigen konnten. Metalle eignen sich für den Nachweis nicht. Und auch das ETH-Team war sich zuerst gar nicht bewusst, dass es einen solchen gefunden hatte. „Wir beobachteten in unseren Messungen mit der Graphen-Sandwichkonstruktion etwas Seltsames, das wir nicht erklären konnten", sagt Varlet. Bei Diskussionen konnte ein russischer Theoretiker, Vladimir Falko, ihre Messungen deuten.

Zur Herstellung ihrer Sandwichkonstruktion umschloss Varlet die beiden Graphenschichten mit zwei Lagen aus Bornitrid, einem Material, das sonst zu Schmierzwecken verwendet wird und eine extrem glatte Oberfläche hat. Beide Stoffe sind billig, doch die erforderliche Arbeit im Reinraum ist aufwendig. Nur wenn die verwendeten Kohlenstoffflocken äußerst sauber sind, lässt sich daraus ein funktionierendes Bauelement fabrizieren. „Ein Großteil meiner Arbeit besteht in der Reinigung unseres Graphens", sagt Varlet. Das Besondere an ihren Proben sei, dass diese gigantisch starken, elektrischen Feldern standhielten, so Ensslin. Erst so wurden die jetzt publizierten Arbeiten möglich.

Über eine praktische Anwendung des beobachteten Phänomens lässt sich zurzeit nur vage spekulieren. So ist die Topologie von Quantenzuständen eine Möglichkeit, diese von ihrer Umgebung zu entkoppeln und damit eventuell besonders stabile Quantenzustände zu erzeugen, die dann für Informationsverarbeitung nützlich sein könnten. Doch einstweilen geht es den Forschern vor allem um das bessere Verständnis der Bauelemente aus doppellagigem Graphen.

ETH Zürich / PH

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