Wenn das Hochhaus zur Strahlenkanone wird
„Todesstrahl“ vom Hochhaus Fenchurch 20 in London traktiert Jaguar.
Die Engländer haben ein Problem mit der Sonne. Damit sind jetzt nicht die Mittelmeerurlauber gemeint, sondern die Bewohner der vermeintlichen Schlechtwetterhauptstadt London. Denn hier hat ein Architekt ein Gebäude entworfen und die Physik dabei zu sehr außen vor gelassen. Und das hat sich jetzt gerächt: Die nach Süden konkave und verspiegelte Fassade des Hochhauses Fenchurch 20, der Form wegen auch bekannt als Walkie-Talkie, schmolz kürzlich Teile einer in der Nähe geparkten Nobelkarosse und setzte Medienberichten zufolge sogar benachbarte Gebäude in Brand.
Abb.: Fenchurch 20 in London, das „Walkie Talkie“ (Bild: CH2M Hill / YouTube)
Eigentlich sollte das Phänomen bekannt sein: Bereits 2009 gab es in Las Vegas, Nevada ähnliche Probleme mit dem Vdara Hotel. Michael Vollmer und Klaus-Peter Möllmann von der FH Brandenburg hatten den Vorfall zum Anlass genommen, die Reflektionen anhand eines 1:200-Modells und Computersimulationen zu untersuchen. Je nach Größen von Parametern wie Gebäudehöhe, Ausrichtung, Krümmung und Sonnenstand können in den Kaustiken – den Räumen, in denen sich Strahlen bündeln, ein bekanntes Phänomen etwa von Weingläsern oder Schwimmbecken – erhebliche Energiedichten zustande kommen, welche die Physiker mithilfe von Infrarotkameras vermessen konnten. Im Falle des Hotel-Modells erhitzte die Strahlung bestimmte Flächen auf rund 250 Grad, völlig ausreichend, um darauf ein Spiegelei zu braten, wie die Forscher demonstrierten.
Abb.: Computersimulation und Experiment zeigen übereinstimmend, wo es je nach Stand der Strahlungsquelle heiß wird (Bild: M. Vollmer & K.-P. Möllmann)
Vollmer und Möllmann gehen davon aus, dass die Anzahl solcher Vorfälle künftig zunimmt, da aus ästhetischen Gründen und wegen der Energieeffizienz die Zahl verspiegelter Gebäude immer weiter steigt. Das noch nicht fertig gestellte Gebäude an der Fenchurch Street 20 wurde mittlerweile verhüllt, bis weitere Maßnahmen ergriffen werden. Besonders pikant: Der Architekt des Walkie Talkies ist der selbe wie beim Vdara Hotel.
Oliver Dreissigacker