Wie Hagelkörner wachsen
Analyse der Kristallstruktur offenbart Wachstumsprozesse und Schadenspotential bei Unwettern.
Hagelstürme im Südwesten Deutschlands lösten kürzlich Erinnerungen an das verheerende Unwetter von 2013 aus. Damals wurden in Baden-Württemberg Schäden in Milliardenhöhe angerichtet, die Schäden aus den jüngsten Unwettern werden derzeit noch erhoben. Bei allem Ärger, den Hagelkörner für Menschen bedeuten, besitzen sie jedoch gleichzeitig eine bislang unbekannte innere Schönheit: Die Tübinger Wissenschaftler Paul Bons und Catherine Bauer haben in einer Studie erstmals ihre Kristallstruktur sichtbar gemacht. Sie hatten dafür Körner des Tübinger Sturms von 2013 gesammelt und im Labor mit modernsten Methoden analysiert.
Neben ästhetisch ansprechenden Bildern, die so noch nie erstellt wurden, liefert dies auch Erkenntnisse zum Aufbau und möglichen Schadenspotential von Hagelkörnern. Paul Bons und Catherine Bauer forschen beide unter anderem zum Thema „Eis“, beispielsweise in Grönland. Im Tübinger Hagelsturm von 2013 reagierten sie umgehend und sammelten Hagelkörner ein. „Wir haben diese bei minus 32 Grad gelagert“, erklärt Bons. „Eisproben sollten immer unter minus 28 Grad gelagert sein, sonst kann sich die innere Struktur innerhalb von Wochen verändern.“
Für die Studie arbeitete er mit der Glaziologin Maurine Montagnat von der Universität Grenoble, Frankreich, zusammen. Ihr Team sektionierte die Tübinger Hagelkörner zusammen mit weiteren aus Südwestfrankreich und machte mit einem „Automated Ice Texture Analyser“ deren innere Kristallstruktur – die Textur – sichtbar. Die entstandenen Bilder zeigen die Struktur der Kristalle im Hagelkorn in verschiedenen Farben und offenbaren faszinierende Muster und eine Schönheit, die dem Auge normalerweise verborgen bleibt. Jedes Hagelkorn weist dabei eine individuelle Struktur auf.
Hagelkörner entstehen aus Regentropfen, die durch Aufwinde in Gewitterwolken in große Höhen von 12.000 Metern und mehr transportiert werden und dort gefrieren. Im Fall nach unten wachsen sie ‒ abhängig von Temperatur und Luftfeuchtigkeit – weiter, indem immer neue Kristallschichten anfrieren. Diese Prozedur kann sich mehrmals wiederholen: Aufwinde tragen die Eiskörner nach oben in die kälteren Schichten, durch ihr Gewicht fallen sie wieder nach unten. Je heftiger das Gewitter, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass am Ende große Hagelkörner auf der Erde ankommen.
Erst moderne Methoden machten es möglich, die Wachstumsstadien und komplexen Wachstumsmechanismen von Hagelkörnern viel detaillierter zu untersuchen, sagt Bons. „So können wir die Entstehung von Hagelkörnern besser verstehen und vielleicht auch besser vorhersagen, welche Schäden sie anrichten können.“
U. Tübingen / DE