29.01.2013

Wo sind die metallarmen Sterne?

Neue Methode zur Bestimmung stellarer Parameter und Entfernungen weckt Zweifel an bisherigen Literaturwerten.

Die Bestimmung der Metallizitäten von Sternen und ihrer Kinematik ist eines der größten Probleme in der modernen Astrophysik. Es gibt zwar verschiedene Methoden, allerdings sind die meisten nicht für große Sternzählungen geeignet – genau diese sind aber für Studien der Struktur unserer Galaxie notwendig. Wissenschaftler vom MPI für Astrophysik, aus Spanien und Schweden haben nun eine neuartige Methode entwickelt, mit der verschiedene stellare Parameter sowie ihre Distanzen aus einem vorgegebenen stellaren Spektrum bestimmt werden können. Als sie diese neue Methode auf eine Stichprobe von Sternen angewandt haben, die weniger als zehn Kiloparsec von der Sonne entfernt sind, fanden sie deutlich höhere Metallizitäten und kürzere Distanzen im Vergleich zu früheren Ergebnissen. Dies hat erhebliche Auswirkungen für jegliche Studie, die auf spektrophotometrisch gemessenen Distanzen aufbaut, um die stellare Kinematik in unserer Milchstraße zu bestimmen.

Abb.: Momentaufnahme aus einer Vorbeifluganimation, die die Verteilung der SDSS- Sterne im Vergleich zu einem Modell der Milchstraße zeigt. Zwergsterne sind in Blau dargestellt. (Bild: RAVE Coll.)

Metallizitäten und die Kinematik von massearmen Sternen sind wichtige Parameter bei der Untersuchung der Struktur und der Entwicklung unserer Galaxie. Die genaueste Methode, um die Metallizitäten zu bestimmen ist durch die Spektroskopie, während man Entfernungen am besten mit Astrometrie bestimmt. Von der Hipparcos-Mission sind Parallaxen für viele Tausende Sterne vorhanden, aber jenseits von 0,1 bis 0,2 kpc Abstand von der Sonne nimmt ihre Genauigkeit rasch ab. Für großflächige stellaren Durchmusterungen wie SDSS / SEGUE, APOGEE und RAVE, die die Galaxie von ihrem innersten Bulge bis in den äußeren Halo bei Entfernungen jenseits von 50 kpc beobachten wollen, müssen Wissenschaftler eine andere Lösung finden.

Die einzige Alternative besteht darin, die Informationen im stellaren Spektrum zu verwenden, und die Leuchtkraftdaten mit Modellen zur Photometrie und stellaren Evolution zu verbinden. Eine Voraussetzung für diesen Ansatz sind physikalisch realistische Modelle zum Strahlungstransport in Sternatmosphären. Damit erhalten Forscher dann korrekte physikalische Parameter eines Sterns, wenn sie diese Methode auf beobachtete Spektren anwenden.

Abb.: Räumliche Verteilung der untersuchten Sterne, zentriert auf die Sonne. Das linke Bild zeigt die Ergebnisse des Standard-LTE Modells, das rechte Bild für den neuen NLTE-Ansatz. Die Farben zeigen die Oberflächenschwerkraft an, siehe auch die Skala rechts. (Bild: MPA)

In den vergangenen Jahrzehnten beruhte die Spektroskopie von masse-armen Sternen auf vereinfachten Modellen, die lokales thermodynamisches Gleichgewicht (LTE) und 1D-hydrostatisches Gleichgewicht voraussetzten. Da diese Modelle auf breiter Front für die Analyse von großen Datenmengen verwendet werden, wie beispielsweise SDSS und RAVE, stellt sich die wichtige Frage, ob ein solcher 1D-LTE-Ansatz sinnvoll ist.

Vor kurzem arbeiteten Wissenschaftler am MPA mit Forschern in Spanien und Schweden zusammen, um eine neue Methode zur Berechnung der stellaren Parameter und Entfernungen zu entwickeln. Dieses Verfahren berücksichtigt neue physikalische Effekte – wie non-LTE-Strahlungstransport – in Sternmodellen, die bisher in keine einzige Berechnung einbezogen wurden.

Abb.: Verteilung der untersuchten Sterne als Funktion der Metallizität (links) und Entfernung (rechts). Die Form der beiden Verteilungen unterscheidet sich deutlich, wenn realistischere Modelle incl. NLTE (rot) verwendet werden, um Metallizitäten und Entfernungen der Sterne zu bestimmen. Der LTE-Fall ist in schwarz dargestellt. (Bild: MPA)

Demnach ändern sich die Parameter aus den Sternspektren mit der neuen Methode deutlich: die metallarmen Sterne werden wärmer, sind reicher an Metallen und weniger entwickelt, ein Anstieg bei ihrer Oberflächenschwerkraft geht also einher mit einer Abnahme der Leuchtkraft. Als Folge davon werden die Sterne schwächer und dies wiederum führt zu wesentlich geringeren Abständen. Für die meisten Sterne verringert sich der Abstand dabei um 10 – 50 %. Dies hat einen großen Einfluss auf die Volumenverteilung der Sterne.

Diese Verbesserungen in der Physik der Strahlungstransportmodelle haben einen großen Einfluss auf die Verteilungsfunktion der Sterne. In einer Magnituden-begrenzten Studie (wie RAVE), bei der metallreiche unentwickelte Sterne in der Nähe dominieren und metallarme leuchtstarke Riesensterne überwiegend bei größeren Abständen beobachtet werden, wird die klassische LTE-Analyse systematisch zu große Distanzen liefern und die Sterne schrittweise weiter weg platzieren als sie in Wirklichkeit sind. Dies würde zu einem unphysikalischen Verschmieren des Metallizitätsverteilungsfunktion führen und auch die Entfernungsskala strecken.

Nachdem die neue Methode somit getestet ist, können die Wissenschafter nun viel größere Sterndurchmusterungen, wie  SDSS / SEGUE, analysieren. Diese bieten völlig neue Informationen über die Eigenschaften der stellaren Populationen in der Milchstraße. Insbesondere werfen sie ein neues Licht auf die Diskussion über die Herkunft unseres galaktischen Halo.

MPA / OD

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