30.09.2016

Wohin entschwinden die Elektronen?

Neue Erklärung des Verbleibs hochenergetischer Elektronen in äußerer Erdatmosphäre erlaubt bessere Weltraumwetter-Prognose.

Ein geomagnetischer Sturm am 17. Januar 2013 hat sich als Glücksfall für die Wissenschaft erwiesen. Der Sonnensturm ermöglichte einzigartige Beobachtungen, die helfen, eine lang diskutierte Forschungsfrage zu lösen. Jahrzehnte rätselten Wissenschaftler, auf welche Weise hoch energetische Partikel, die auf die Magnetosphäre der Erde treffen, wieder verschwinden. Als aussichts­reiche Erklärung galt ein Prozess, bei dem elektromagnetische Wellen die Teilchen in die Erdatmosphäre ablenkten. Vor zehn Jahren wurde eine weitere Theorie vorgeschlagen, wonach die Partikel in den inter­planetaren Raum verschwanden.

Abb.: Visualisierung der magnetischen Umgebung der Erde mit den magnetischen Feldlinien als Schutzschild, der vom starken Magnetfeld im Erdkern gebildet wird. (Bild: M. Rother, GFZ)

Jetzt hat Yuri Shprits vom Deutschen GeoForschungs­Zentrum GFZ und der Universität Potsdam gemeinsam mit Kollegen aus Instituten weltweit heraus­gefunden, dass beide Erklärungen gelten – entscheidend für den Verlust an Teilchen ist, wie schnell die Partikel sind. Shprits sagt, dass damit einige grundlegende wissenschaftliche Fragen zu unserer nächsten Umgebung im Weltall gelöst sind. „Das hilft uns auch, Prozesse auf der Sonne, auf anderen Planeten und sogar in fernen Galaxien zu verstehen“, sagt der Forscher. Er fügt hinzu: „Die Studie wird uns überdies helfen, das Weltraum­wetter besser vorherzusagen und damit wertvolle Satelliten zu schützen.“

Der Physiker James Van Allen wies vor beinahe sechzig Jahren nach, dass das Weltall radioaktiv ist. Er nutzte dazu Messungen eines Geigerzählers, der auf dem ersten US-amerikanischen Satelliten Explorer 1 angebracht war. Heute wissen wir, dass die Erde von zwei Ringen umgeben ist, die hoch energetische Teilchen aus dem Weltall im Van-Allen-Gürtel einfangen. Die Strahlung darin stellt eine extrem harsche Umgebung für Satelliten und Menschen dar, die in Raumfahrzeugen die Gürtel durchfliegen. Die Satelliten, auf denen unsere Navigations­systeme beruhen, z.B. die GPS-Satelliten, befinden sich mitten im Van-Allen-Gürtel.

Die gefährlichsten Partikel für die Raumfahrt sind relativistische und ultra-relativistische Elektronen. Die einen fliegen mit mehr als 90 Prozent, die anderen mit mehr als 99 Prozent der Licht­geschwindigkeit. Treffen sie auf elektronische Bauteile, können sie diese empfindlich beeinträchtigen oder sogar zerstören. Gegen relativistische Teilchen lassen sich Satelliten abschirmen, aber gegen die ultra-relativistischen Teilchen gibt es so gut wie keinen Schutz. Yuri Shprits, der kürzlich im Rahmen der Helmholtz-Rekrutierungs­initiative von der University of California, Los Angeles (UCLA) ans GFZ kam und eine Professur an der Universität Potsdam innehat, sagt: „Umso wichtiger ist es, die Dynamik dieser Partikel zu verstehen.“

Das Problem dabei: Im Gegensatz zu den vergleichsweise trägen Veränderungen der Ozeane und der Atmosphäre auf der Erde kann sich der Strahlungs­fluss in der Magneto­sphäre innerhalb einer Stunde um den Faktor 1000 verändern. Am dramatischsten sind die „drop-outs“, die während geomagnetischer Stürme oder Sonnen­eruptionen vorkommen. Schon seit Ende der 1960er Jahre versucht die Forschung zu ergründen, wohin Elektronen aus dem Van-Allen-Gürtel verschwinden. Das Verständnis dieses Prozesses ist zentral, um die radioaktive Umgebung zu charakterisieren und Veränderungen prognostizieren zu können. Fachleute sprechen von Weltraum­wetter­vorhersage.

Eine der Theorien, die „drop-outs“ erklären, beruhte auf bestimmten elektro­magnetischen Wellen (EMIC für Electromagnetic Ion Cyclotron Waves). Diese werden durch eindringende Ionen aus dem Magneto­sphären­schweif verursacht, die schwerer und energiereicher als Elektronen sind. EMIC-Wellen können Elektronen in die Erd­atmosphäre hinein ablenken und so aus dem Van-Allen-Gürtel entfernen. Vor zehn Jahren schlug Yuri Shprits gemeinsam mit Kollegen einen anderen Mechanismus vor, wonach Elektronen nicht nach „unten“, sondern nach oben abgelenkt werden, also nicht in der Atmosphäre landen, sondern ins Weltall verschwinden. Messungen und Modellierungen schienen diesen Weg zu bestätigen, aber es blieb unklar, was genau bei geomagnetischen Stürmen passiert.

Jetzt scheint die Frage gelöst zu sein, nachdem ein internationales Team um Yuri Shprits Daten aus dem Sonnensturm vom 17. Januar 2013 ausgewertet und darüber hinaus mit Ergebnissen aus seinen Modell­rechnungen verglichen hat. „Der Sturm bot ideale Bedingungen“, erläutert Shprits, „weil erstens noch Teilchen aus einem vorhergehenden Sturm nachweisbar waren, zweitens die ultra-relativistischen und die relativistischen Teilchen­ströme an unterschiedlichen Stellen auftraten und drittens die ultra-relativistischen Teilchen tief in der Magneto­sphäre gefangen waren.“

Umfangreiche Messungen der Satellitenmission „Van Allen Probes”, die 2012 von der NASA zur Untersuchung der Strahlungsgürtel gestartet wurde, zeigten, dass EMIC-Wellen tatsächlich Teilchen in die Atmosphäre streuten. Allerdings betrifft das ausschließlich die super­schnellen ultra-relativistischen Teilchen und nicht wie früher gedacht auch die relativistischen. Bei den hohen Energien ist die Streuung durch Wellen besonders effektiv. Der andere von Yuri Shprits vorgeschlagene Mechanismus hat dagegen die etwas langsameren Teilchen, die relativistischen Elektronen, in den inter­planetaren Raum abgelenkt. Damit sei nicht nur eine alte Forschungs­frage gelöst, sagt Shprits, sondern es böten sich nun bessere Möglichkeiten, Prozesse in unserem Strahlungs­gürtel, aber auch um andere Planeten herum bis hin zu Sternen und fernen Galaxien zu verstehen. „Unsere Ergebnisse werden auch helfen, das ‚Weltraum­wetter‘ besser vorherzusagen und damit wertvolle Satelliten zu schützen.“

GFZ / DE

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