29.07.2024

Zweischneidige Substanz

Stickstoff dämpft die Erderwärmung, schädigt aber zugleich die Umwelt.

Stickstoffdünger und Stickoxide aus fossilen Brennstoffen sind als Gründe für verschiedene Umweltschäden bekannt: Sie belasten die Luft und das Trinkwasser, führen zur Überdüngung von Gewässern und Landökosystemen, reduzieren die Artenvielfalt und schädigen die Ozonschicht. Was das Klima angeht, haben sie unter dem Strich aber eine kühlende Wirkung. Zu diesem Schluss kommt ein internationales Team unter Leitung von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie in Jena in einer umfassenden Analyse. Darin ziehen die Forscher eine Bilanz der verschiedenen Klimaeffekte von Stickstoffverbindungen aus landwirtschaftlichen und nicht-landwirtschaftlichen Quellen.


Abb.: Gülletraktor
Abb.: Gülletraktor
Quelle: Countrypixel Adobe Stock

So vielfältig die Formen sind, in denen Stickstoff in Boden, Wasser und Luft vorkommt, so vielfältig sind auch seine Auswirkungen auf das Klima. Elementarer Stickstoff, aus der unsere Luft zu etwa 78 Prozent besteht, ist zwar klimaneutral, aber alle Verbindungen des Elements, reaktiver Stickstoff genannt, wirken sich in verschiedener Weise direkt oder indirekt auf die globale Durchschnittstemperatur aus – mal wärmend und mal kühlend: So ist Lachgas, chemisch Distickstoffmonoxid genannt, das etwa aus gedüngtem Boden entweicht, ein fast 300mal stärkeres Treibhausgas als CO₂ und dabei deutlich langlebiger. 

Durch andere, kurzlebige Stickoxide, die vor allem durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe entstehen, bilden sich dagegen Aerosolteilchen, feine Schwebpartikel in der Atmosphäre. Sie schirmen Sonnenlicht ab und kühlen das Klima auf diese Weise. Gleiches gilt für Ammonium, das etwa aus Gülle und Kunstdünger entsteht. Hinzu kommt auch, dass Einträge von Stickstoff Pflanzen generell üppiger wachsen lassen. Diese nehmen dabei CO₂ aus der Atmosphäre auf, was ebenfalls kühlend wirkt. Stickoxide spielen zudem eine Rolle beim Abbau von Methan und kühlen somit die Atmosphäre; sie führen aber auch zur Bildung des Treibhausgases Ozon, was wiederum wärmend wirkt.

Das internationale Team, das Sönke Zaehle und Cheng Gong vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie leiteten, hat nun eine Bilanz der diversen Effekte gezogen. Das Resultat unterm Strich: Stickstoff, der durch menschliche Aktivitäten ins Erdsystem gelangt, kühlt das Klima, und zwar um einen Betrag von minus 0,34 Watt pro Quadratmeter – in der Klimaforschung als negativer Strahlungsantrieb bezeichnet. Zum Vergleich: Bei der menschengemachten Erderwärmung wird die Atmosphäre vor allem durch Treibhausgase aus fossilen Brennstoffen mit zusätzlichen 2,7 Watt pro Quadratmeter angeheizt – so der Mittelwert für die Jahre 2011 bis 2020, den der Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) in seinem aktuellen Sachstandsbericht angibt. 

Gleichzeitig hat sich die Erde in diesem Zeitraum durchschnittlich um 1,1 Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit erwärmt. „Der negative Strahlungsantrieb durch den Stickstoffeintrag lässt sich nicht einfach in eine Änderung der globalen Durchschnittstemperatur umrechnen, da dabei lokale Effekte auftreten und das Klimasystem in komplexer Weise auf solche Veränderungen des Strahlungsantriebs reagiert“, sagt Sönke Zaehle, Direktor am Max-Planck-Institut für Biogeochemie und Koautor der Studie.

Festhalten lässt sich allerdings, dass sich das Klima ohne den menschlichen Stickstoffeintrag noch weiter aufgeheizt hätte. „Das klingt zwar wie eine gute Nachricht, aber dabei muss man berücksichtigen, dass die Stickstoffemissionen viele schädliche Wirkungen etwa auf die Gesundheit, die Artenvielfalt und die Ozonschicht haben“, sagt Sönke Zaehle. „Der aktuelle Befund verbessert also nur in einer Hinsicht die Umweltbilanz des Stickstoffeintrags und ist kein Grund diesen schön zu reden, geschweige denn in zusätzlicher Stickstoffzufuhr ein Mittel gegen die Erderwärmung zu sehen.“

Die Gesamtwirkung des Stickstoffs aus menschlichen Quellen bestimmten die Forscher, indem sie zunächst ermittelten, welche Mengen der verschiedenen Stickstoffverbindungen in den Boden, ins Wasser oder in die Luft gelangen. Diese Daten speisten sie in Modelle des NMIP2-Projektes ein, die den globalen Stickstoffkreislauf und dessen Auswirkungen auf den Kohlenstoffkreislauf abbilden, also die Stimulation des Pflanzenwachstums und letztlich die Veränderung des CO₂- und Methangehalts der Atmosphäre. Aus den Ergebnissen dieser Modellsimulationen berechneten sie mit einem weiteren Modell die Auswirkung der menschengemachten Stickstoffemissionen auf den Strahlungsantrieb, also die Strahlungsenergie, die pro Zeiteinheit auf einen Quadratmeter der Erdoberfläche trifft. 

Frühere Schätzungen auf der Grundlage von Literaturstudien waren in der Regel bruchstückhaft und vernachlässigten, dass die Prozesse des globalen Stickstoffkreislaufs räumlich sehr heterogen, stark vernetzt und nicht-linear sind“, sagt Cheng Gong, Postdoktorand am Max-Planck-Institut für Biogeochemie und Erstautor der Studie. „Unsere Berechnungen beziehen diese Besonderheiten mit ein. Die Ergebnisse unterstreichen, wie wichtig es ist, die Wechselwirkungen zwischen Biogeochemie, Atmosphärenchemie und Klima zu berücksichtigen, um die Klimaauswirkungen von anthropogenem Stickstoff zu verstehen.“ 

Die Verringerung der Stickstoffemissionen sollte durch noch stärkere Anstrengungen zur Reduzierung der Treibhausgase aus fossilen Brennstoffen ergänzt werden. „Die Stickstoffemissionen sollten reduziert werden“, sagt Sönke Zaehle. Verbesserte landwirtschaftliche Praktiken könnten etwa helfen, Stickstoff als Düngemittel effizienter zu nutzen. „Auf diese Weise lassen sich etwa die Lachgas-Emissionen verringern, die zur Erderwärmung beitragen und die Ozonschicht schädigen“, so Zaehle weiter. „Es ist jedoch wichtig zu erkennen, dass eine Verringerung der anthropogenen Stickstoffeinträge zwar der Gesundheit des Menschen und der Ökosysteme nützt, sich aber auch auf das Klima auswirkt. Neben der Verringerung des reaktiven Stickstoffs müssen also auch die Emissionen von Treibhausgasen, vor allem CO2 und Methan aus fossilen Brennstoffen, stärker reduziert werden. Nur dann lassen sich sowohl Gesundheit und Natur besser schützen als auch der Klimawandel eindämmen.“

MPI-BGC / DE



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