Wissenschaftler tragen Kühlboxen zum Transport von Eisproben für Argon-39-Analysen auf den Jamtalferner in Tirol. (Bild: W. Aeschbach / U Heidelberg, vgl. S. 25)
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Wissenschaftler tragen Kühlboxen zum Transport von Eisproben für Argon-39-Analysen auf den Jamtalferner in Tirol. (Bild: W. Aeschbach / U Heidelberg, vgl. S. 25)
Zu: M. Düren, Physik Journal, August/ September 2021, S. 68
Mit Erwiderung von Michael Düren
Mithilfe von Quantentechnologien lassen sich Prozesse aus der Umwelt analysieren, die über hunderte von Jahren ablaufen.
Die Vorgänge in der Umwelt in allen Details zu verstehen, ist praktisch unmöglich. Um Umweltveränderungen genau zu beobachten, gilt es, mit modernsten Messmethoden alle zugänglichen Informationen zu erschließen. Die Spurenanalyse auf dem Einzel-Atom-Niveau liefert völlig neue Einblicke in grundlegende Prozesse, die in Wasser, Eis oder Permafrost über hunderte von Jahren ablaufen. Dieses Beispiel zeigt, wie moderne quantenoptische Methoden der Umweltforschung neue Möglichkeiten eröffnen.
Quantentechnologie ist heutzutage zwar in aller Munde, aber konkrete Anwendungen sind bislang eher spärlich. Hier wollen wir uns auf eine spezielle Methode konzentrieren, die auf Techniken aus der Quantenphysik basiert: die Atom-Trap-Trace-Analysis (ATTA), die in den letzten Jahren zu neuen Einsichten, vor allem in die Dynamik von Wasser, geführt hat. Dynamik zu verstehen impliziert die Notwendigkeit einer Zeitmessung. Bei Naturvorgängen kann dies nicht etwa eine einfache Stoppuhr leisten. Vielmehr gilt es, auf physikalische Zeitindikatoren zurückzugreifen. Häufig genutzt sind Baumringe, Sediment- oder Eisschichten, in denen die Zeit in charakteristischen Schritten, etwa als Jahresringe, ablesbar ist. Häufig fehlen solche Zeitindikatoren jedoch. Will man zum Beispiel wissen, wann das Wasser aus der Wasserleitung als Regen vom Himmel gefallen ist, hilft das Zählen von Baumringen wenig.
Hier kann eine andere weitverbreitete Datierungsmethode helfen: der radioaktive Zerfall. Es ist eine quantenmechanische Eigenschaft, dass ein atomarer Kern zerfallen kann, wenn die Ruheenergie der Zerfallsprodukte kleiner ist als die Ruheenergie des Kerns. Dieser Prozess tritt zufällig auf und ist daher zeitlich nicht vorhersagbar. Die quantenmechanische Wahrscheinlichkeit, dass der Prozess abläuft, ist allerdings präzise für jedes radioaktive Isotop definiert. Sie ist nicht direkt zu beobachten, sondern experimentell zu bestimmen, indem man viele (strikt: unendlich viele) gleiche Kerne nimmt und sich fragt: Wie lange dauert es, bis die Hälfte der Kerne zerfallen ist? Diese Halbwertszeit ist trotz des intrinsischen Zufalls genau definiert. Es gilt aber aufzuhorchen, denn es erfordert unendlich viele Kerne, die Halbwertszeit exakt zu bestimmen. Wir werden auf diesen Punkt noch zurückkommen. (...)
Seit zehn Jahren registriert und charakterisiert das Observatorium AMS-02 auf der Internationalen Raumstation die kosmische Strahlung.
Das Alpha Magnetic Spectrometer (AMS-02) befindet sich seit Mai 2011 auf der Traverse der Internationalen Raumstation ISS. Das Detektorsystem hat seither 176 Milliarden Teilchen der kosmischen Strahlung in einer erdnahen Umlaufbahn registriert. Diese einzigartige Statistik wirft ein neues Licht auf den Ursprung der kosmischen Teilchen und ihren Weg von den Quellen bis ins Sonnensystem. Als unkonventionelle Quellen könnten auch die Dunkle Materie oder kleine Reste von Antimaterie zur kosmischen Strahlung beitragen.
Kosmische Strahlen bestehen aus hochenergetischen, elektrisch geladenen Teilchen, die aus kosmischen und astrophysikalischen Quellen stammen – die meisten aus unserer Milchstraße. Wenn sie mit einer Intensität von etwa einem Teilchen pro cm2 und Sekunde auf die Erdatmosphäre treffen, haben sie eine lange Reise hinter sich. Geleitet von Magnetfeldern und in Wechselwirkung mit interstellarem Gas und Plasma diffundieren sie einige Millionen Jahre durch unsere Galaxie. Daher steckt die Physik ihrer Quellen und ihres Weges auch mehr als hundert Jahre nach ihrer Entdeckung voller Rätsel.
Der Nachweis des extraterrestrischen Ursprungs der „Luftelektrizität“ gelang Victor Francis Hess 1912 bei seinen Ballonfahrten. In den folgenden Jahren fand eine Fülle von Experimenten in immer größeren Höhen statt, sodass sich ein detailliertes Bild der Ionisationsrate als Funktion der Höhe ergab (Abb. 1). Als Pioniere nutzten Werner Regener und sein Student Georg Pfotzer in Stuttgart Wetterballons mit Geiger-Müller-Zählrohren. Sie bestimmten in den 1930er-Jahren den Fluss kosmischer Teilchen − ihre Anzahl pro Flächen- und Zeiteinheit − als Funktion der Höhe und verglichen ihn mit der Ionisationsrate. Aufgrund der gleichen Höhenabhängigkeit folgerten sie, dass einzelne geladene Teilchen die „Luftelektrizität“ auslösen. Heute gilt Regener, den das Nazi-Regime aus seiner akademischen Position drängte, als einer der Pioniere der Geophysik. Während seine Ergebnisse kaum über die Fachwelt hinausdrangen, erregten die bemannten Stratosphärenflüge von Auguste Piccard und Max Cosyns ungeahnte öffentliche Aufmerksamkeit. Dreißigtausend Zuschauende und zahlreiche Medien verfolgten 1932 den Start ihres Ballonflugs vom Militärgelände in Dübendorf bei Zürich. Ein Bataillon der schweizerischen Armee hielt den Ballon mit seiner Aluminiumkapsel während der Befüllung am Boden. Die beiden „Eroberer der Stratosphäre“ avancierten zu Volkshelden in der Schweiz und in Belgien: Hervé hat Piccard als „Professor Bienlein“ in den Tim-und-Struppi-Comics unsterblich gemacht. (...)