Grundkonzepte der Physik, mit Einblicken für Geisteswissenschaftler
Wolfgang Weidlich: Grundkonzepte der Physik, mit Einblicken für Geisteswissenschaftler, De Gruyter, Berlin 2016, 2. überarb. und erw. Aufl., 467 S., brosch., 49,95 €, ISBN 9783110442441
Wolfgang Weidlich
„Der Weidlich“ ist ein außerordentlich anregendes Lehrbuch, das einen breiten Leserkreis anspricht, nicht nur – wie im Untertitel betont – die Geistes- und Sozialwissenschaftler, sondern gewiss auch die lernenden Naturwissenschaftler wie auch angehende oder schon praktizierende Physiker.
Tragisch ist, dass der Autor das Erscheinen dieser zweiten Auflage seines Werkes, an der er noch bis zuletzt gearbeitet hat, nicht mehr erleben darf. Dass diese erweiterte und zudem deutlich erschwinglichere Ausgabe erscheinen kann, verdanken wir seiner langjährigen Mitarbeiterin Heide Hübner.
Das Buch vermittelt die wesentlichen physikalischen Erkenntnisse in sehr gut verständlicher Weise, ist also ein echtes Lehrbuch. Es spricht aber auch den Geist der Physik an. Immer wieder schimmert des Autors intellektuelles Vergnügen durch: einerseits beim Darstellen ausgewählter Erkenntnisse und physikalischer Ergebnisse im Detail, auch in formelhafter Verdichtung – schließlich ist der Autor theoretischer Physiker –, andererseits aber auch beim Überblick und Nachdenken über das heutige Gesamtgebäude „Physik“.
Wir lesen also ein Lehrbuch der theoretischen Physik. Der Leser lernt viel handfeste Physik wie Newtonsche Mechanik, klassische Elektrodynamik, Thermodynamik, Spezielle und Allgemeine Relativitätstheorie und bekommt einen Überblick über Quantenphysik in ihren Grundbegriffen und wichtigsten Anwendungen. Neu ist in der zweiten Auflage ein Kapitel zur Kosmologie. Immer wieder weist Weidlich dabei auf die naturphilosophische Einbettung der Physik hin, auf den gedanklichen Rahmen physikalischer Erkenntnisgewinnung und beleuchtet auch die dahinterliegenden Erkenntnisprozesse.
Nicht jeder Leser mag des Autors Ansichten über Wissenschaft und Transzendenz zustimmen, aber dass diese überhaupt angesprochen und dargestellt wird, dass über die Spuren der Transzendenz in der Wirklichkeit nachgedacht wird, über die Einheit der Wirklichkeit und die Dimension der Wahrheit, ist sehr wertvoll. All das bettet nämlich die physikalischen Einsichten und Fakten, kondensiert in den wichtigsten Formeln der verschiedenen Gebiete der Physik, in den zugrundeliegenden philosophischen und erkenntnistheoretischen Rahmen ein. Intensiv wird ein Grundprinzip physikalischen Erkenntnisfortschritts thematisiert, vom Autor „Inklusionsprinzip“ genannt: Jede Theorie für ein neues Gebiet muss die alte, in einem eingeschränkteren Parameterbereich bewährte Theorie als Grenzfall enthalten.
Es ist schon etwas Besonderes, wenn ein solcher Überblick über die Physik in ihrer Gänze präsentiert wird, ihre wesentlichsten Teilgebiete in sauberen, präzisen Formeln und in zahlreichen Beispielen vermittelt werden und gleichzeitig ein erkenntnistheoretischer Rahmen geboten wird. Das macht das Buch spezifisch und gibt ihm seine besondere Note! So haben wir nicht nur ein wunderbares, anspruchsvolles und gut lesbares Lehrbuch der theoretischen Physik, sondern auch ein bleibendes Ergebnis des Denkens und Wirkens von Wolfgang Weidlich.
Siegfried Großmann