Martin Wagenschein phänomenologisch gelesen
Redeker
Martin Wagenschein phänomenologisch gelesen
Von B. Redeker.
Deutscher Studien Verlag, Weinheim 1995. 223 S., kart.,
ISBN 3-89271-562-9
Treppauf, Treppab wird über den "Standort Deutschland" räsoniert, doch selten gerät dabei ins Blickfeld, welch große Bedeutung eine gute und fundierte Ausbildung hat. Im Drang, zu sparen, koste es was es wolle, soll die naturwissenschaftliche Ausbildung weiter reduziert wreden. Darüber zu klagen ist eine Seite, die andere ist, sich zu fragen, warum Physik zu den unbeliebtesten Schulfächern zählt? Der hundertste Geburtstag von Martin Wagenschein, der in diesem Jahr begangen wird, bietet einen guten Anlaß, darüber weiter nachzudenken.
Bruno Redeker liefert mit seinem Buch einen beachtenswerten Beitrag zu dieser Diskussion. Dies wird auch dadurch erleichtert, daß er seinen philosophischen Standpunkt deutlich formuliert. Seine Bemühung um eine Erfassung des Physiklernens auf einem hohen theoretischen Niveau, die sein Buch nicht immer leicht lesbar macht, wird ergänzt durch die Erfahrung des Praktikers, die ihn davor bewahrt, eine bloße "Feiertagsdidaktik (Weltner)" zu entwickeln.
Das Problem des "Umlernens", der Schwerpunkt in Redekers Buch, ist sicherlich nicht nur für die Physik fundamental. Redeker weist darauf hin, daß dies aus der Einsicht geschehen soll, daß die Physik als eine mathematische Wissenschaft betrachtet werden muß, und auch, indem sie in den Gesamtzusammenhang der Welterfahrung gesetzt wird.
Dieses Umlernen geschieht in "aporetischen Situationen", in denen nach dem Anbahnen bestimmter Erwartungen diese durch unerwartete Phänomene enttäuscht werden. Aus der Krise des grundlegenden Verständnisses kann sich dann ein neuer Verständnishorizont herausbilden.
In einer langen Untersuchung der Genese des physikalischen Verstehens setzt sich Redeker u. a. kritisch mit kognitiv orientierten Auffassungen (Piaget), aber auch mit simplen Interpretation von Analogieverstehen - "nur der verkleidete alte Bekannte" (Wagenschein) - auseinander.
Das Buch schließt mit einem Plädoyer dafür, Wagenscheins Begründung des Physikunterrichtes wieder ernst zu nehmen: "Für Wissenschaftsverständigkeit, gegen Wissenschaftsgläubigkeit und Wissenschaftsfeindlichkeit".
Ich denke, hierzu wird Redeker auch die Zu stimmung derjenigen Fachkollegen erhalten, die seine philosophische Sicht nicht in allen Punkten teilen.
T. Görnitz, Frankfurt
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