23.04.2018

Nonequilibrium Statistical Physics

R. Livi und P. Politi: Nonequilibrium Statistical Physics: A Modern Perspective Cambridge University Press, Cambridge 2017, 434 S., geb., 69,99 $, ISBN 9781107049543

R. Livi und P. Politi

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In einem John von Neumann zugeschriebenen Aphorismus wird die Statistische Physik des Nichtgleichgewichts manchmal mit einer Zoologie von Nicht-Elefanten verglichen. Damit ist gemeint, dass die Abwesenheit von thermischem Gleichgewicht das Forschungsgebiet nur unzureichend charakterisiert. Trotzdem hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte ein kohärentes Instrumentarium zur Beschreibung von stochastischen, komplexen Systemen herausgebildet, das eine wichtige Grundlage für interdisziplinäre Anwendungen beispielsweise in der Biologie darstellt, und deshalb zunehmend Eingang in die universitäre Lehre findet. Wer eine solche Vorlesung plant, stellt allerdings schnell fest, dass es kaum geeignete Lehrbücher gibt, die eine Brücke schlagen zwischen den klassischen Konzepten der irreversiblen Thermodynamik und der unübersichtlichen Vielfalt moderner Forschungsthemen.

Roberto Livi von der Universität Florenz und Paolo Politi vom CNR-Institut für komplexe Systeme treten an, diese Lücke zu schließen. Ihr Buch beginnt mit einer Einführung in die Theorie der stochastischen Prozesse, die das methodische Rüstzeug für alle weiteren Teile bereitstellt. Darauf folgt ein ausführliches Kapitel über klassische Transporttheorie, das zentrale Resultate wie die Onsager- und Green-Kubo-Relationen vermittelt. Der mittlere Teil des Buches widmet sich der Statistischen Physik von Nichtgleichgewichts-Phasenübergängen. Nach einer kurzen Erinnerung an die Theorie der kritischen Phänomene im Gleichgewicht stellen die Autoren die gerichtete Perkolation als wichtigstes Paradigma eines Nichtgleichgewichts-Phasenübergangs vor und geben Ausblicke auf weitere Beispiele wie selbstorganisiert kritische Systeme und Exklusionsprozesse.

Die letzten drei Kapitel behandeln jeweils ein großes Gebiet der aktuellen Forschung, die kinetische Aufrauung von Grenzflächen, die Kinetik von Phasenordnungsprozessen und die Strukturbildung. Damit ergibt sich ein guter Überblick über dieses sehr vielfältige Forschungsfeld, ohne dass die Darstellung der einzelnen Themen ins Oberflächliche abzugleiten droht. Für eine zweite Auflage wäre zu überlegen, ein Kapitel über Fluktua­tionstheoreme und stochastische Thermodynamik hinzuzufügen.

Livi und Politi haben sich zum Ziel gesetzt, die Herleitungen in ihrem Buch möglichst lückenlos und für Studierende gut nachvollziehbar darzustellen, was ihnen insgesamt sehr gut gelingt. Mit Geschick wählen sie für jedes Thema einen möglichst transparenten und päda­go­gisch ergiebigen Zugang. Sehr nützlich sind auch die zahlreichen Anhänge, in denen mathematische Grundlagen wie der zentrale Grenzwertsatz oder funktionale Ableitungen ebenso behandelt werden wie weiterführende Themen, etwa die Renormierung der Kardar-Parisi-Zhang-Gleichung. Am Ende jedes Kapitels geben die Autoren kommentierte bibliographische Hinweise auf Monographien und Übersichtsartikel zu den jeweiligen Themengebieten.

Mit dem vorliegenden Lehrbuch leisten die Autoren einen wichtigen Beitrag, die Statistische Physik des Nichtgleichgewichts als eines der lebendigsten Gebiete der theoretischen Physik zu etablieren und zu kanonisieren. Daher wünsche ich dem Buch viele Leser und Nutzer.

Prof. Dr. Joachim Krug,
Institut für Biologische Physik, Universität zu Köln

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