Physical Hydrodynamics
Guyon u.a.
Von E. Guyon, J.-P. Hulin, L. Petit u. C. D. Mitescu. Oxford University Press, Oxford 2001. XXII + 505 S., Hardback,. ISBN 0-19-851746-7
Wenn ein Nobelpreisträger einer Neuerscheinung im Vorwort attestiert: "The very arrangement of its subject matter is revolutionary", dann erwartet der Leser etwas ganz Besonderes. Das vorliegende Buch verfolgt nach Aussage der Autoren zwei Ziele. Erstens soll die Hydrodynamik unter Einbeziehung makroskopischer und mikroskopischer Betrachtungen dargestellt werden. Zweitens soll die Physik gegenüber der Mathematik im Vordergrund stehen. Tatsächlich erhält der Leser in den ersten beiden Kapiteln einen originellen und über traditionellen Lehrstoff hinausgehenden Einblick in die molekularen Wurzeln von Wärmeleitfähigkeit und Viskosität. Sogar den spektroskopischen Methoden zur Analyse der Mikrostruktur von Fluiden wird ein eigener Abschnitt eingeräumt. Leider ist jedoch an so mancher Stelle - wie z.B. beim Modellexperiment "air table" - die Darstellung zu oberflächlich, um den Leser nachhaltig zu be geistern. Die Kapitel 3-5 widmen sich der Herleitung und Diskussion der Grundgleichungen der Hydrodynamik. Erfreulicherweise enthält dieser Teil auch einen Abschnitt über Strömungsmesstechnik, den man in physikalischen Lehrbüchern der Hydrodynamik meistens vergeblich sucht. Allerdings macht dieser Teil im Kapitel 3 einen etwas verlorenen Eindruck, zumal man sich Informationen über andere Strömungsmessverfahren mühevoll aus anderen Kapiteln zusammensuchen muss. Das im ersten Teil bereitgestellte Instrumentarium kommt in den nachfolgenden Kapiteln über Potentialströmung, Wirbeldynamik, Strömungen bei niedrigen Reynoldszahlen, Grenzschichten und Instabilitäten zum Einsatz. Das Kapitel über Strömungen bei niedrigen Reynoldszahlen ist aufgrund der ausgiebigen Diskussion von Strömungen in porösen Medien und der Dynamik von Suspensionen besonders gut gelungen, während die anderen Kapitel der Grundphilosophie der Autoren nur bedingt gerecht werden. So darf bezweifelt werden, dass der Existenz- und Eindeutigkeitsbeweis für Potentialströmungen (Kapitel 6) oder das unvollständige Rayleigh-Bénard-Stabilitätsmodell (Kapitel 10) Wesentliches zur physikalischen Einsicht beitragen. Schwerwiegender als die didaktische Uneinheitlichkeit ist jedoch das Fehlen des Themas Turbulenz, weil gerade dieses ein Paradebeispiel der Wechselwirkung von Makro- und Mikroskalen ist und das zentrale offene Problem der Hydrodynamik verkörpert. Das Literaturverzeichnis ist weit weniger umfangreich und repräsentativ als in dem ähnlichen Buch "Physical Fluid Dynamics" von D. J. Tritton aus dem gleichen Verlag. Zusammenfassend betrachtet, stellt das Buch eine nützliche Lektüre für den an Hydrodynamik interessierten Physiker dar. Eine Sensation ist es jedoch beim besten Willen nicht, von einer "Revolution" ganz zu schweigen. Manchmal übertreiben eben auch Nobelpreisträger.
Prof. Dr. André Thess, Fakultät für Maschinenbau, Thermo- u. Fluiddynamik, Technische Universität Ilmenau