Theoretische Physik kompakt für das Lehramt
Schilcher, K.
Früher hatten die Kandidaten für das höhere Lehramt in theoretischer Physik die gleiche Grundausbildung zu absolvieren wie die Diplomstudierenden. Später wurden die Anforderungen für Lehrämtler auf nur zwei der vier einsemestrigen Vorlesungen reduziert. Um eine ausgewogene, alle Grundgebiete der theoretischen Physik erfassende Ausbildung zu gewährleisten, haben die meisten Fachbereiche einen zweisemestrigen Kompaktkurs in ihr Lehrangebot aufgenommen.
Aus einem solchen Kurs, gehalten an der Universität Mainz, ist das vorliegende Buch von Karl Schilcher entstanden, das von der Newtonschen Mechanik bis zur Quantenfeldtheorie führt. Die Stoffauswahl und die Art der Darstellung entsprechen der Absicht des Autors, den Lesern die mathematisch-formale Einheit der theoretischen Physik deutlich vor Augen zu führen. Um dies zu erreichen, enthält das Buch eine Reihe rein mathematischer Abschnitte (z. B. über Vektorräume, Tensoren, Greensche Funktionen, Operatoren im Hilbert-Raum, usw.). Die mathematischen Voraussetzungen für den Leser beschränken sich dadurch auf die Schulmathematik und die Elemente der Differential- und Integralrechnung. Neben der ausführlichen Darstellung von Wirkungsprinzipien, Invarianzen und Symmetrien, in denen sich die Einheitlichkeit des Formalismus manifestiert, werden wichtige „klassische“ Anwendungen besprochen (wie das Foucaultsche Pendel oder die Feinstruktur des Wasserstoffatoms) und auch Themen, die den angehenden Lehrern in der Regel vorenthalten bleiben (z. B. Schwarzschild-Lösung, Feynmansches Pfadintegral, Quanten¬information).
Das Buch wird der erklärten Absicht des Autors gerecht: Es ist ein kompaktes Handbuch des mathematischen Formalismus der theoretischen Physik auf einem dem potenziellen Hauptleserkreis (3. bis 4. Semester) angepassten Niveau.
Allerdings kann man auch der Meinung sein, dass bei der Ausbildung von Lehramtskandidaten statt des einheitlichen Formalismus (der sich den Schülern ohnehin kaum vermitteln lässt) eine andere Leistung der theoretischen Physik in den Vordergrund gestellt werden müsste, nämlich die Erklärung von Naturerscheinungen vom subatomaren bis zum kosmischen Bereich. Einem solchen Anspruch wird das vorliegende Werk nur sehr beschränkt gerecht. Denn von einem solchen Lehrbuch erwartet man sowohl Erläuterungen zu den Grundbegriffen der Physik als auch die Behandlung einer Reihe grundsätzlicher Themen und interessanter Anwendungen, die in Schilchers Buch ausgespart blieben. Beispiele dafür sind das Kepler-Problem, kleine Schwingungen, Sternmodelle, kosmologisches Standardmodell, Tunneleffekt, Kernenergie, Antimaterie, thermodynamisches Gleichgewicht und Schwankungen, Phasenumwandlungen. Ein derartiges, phänomenorientiertes Lehrbuch wäre sicher in hohem Maße zweckdienlich.
Gleichwohl ist es sehr erfreulich, dass mit Schilchers Vorlesungsausarbeitung, zumindest für die formale Seite der Theorie, ein inhaltsreiches und trotzdem leicht fassliches Lehrbuch erhältlich wurde, das sich speziell an Lehramtsstudenten und Physiklehrer wendet. Es ist zu wünschen, dass es viele Leser aus diesem Kreis findet, deren Bildung bereichert und dadurch letztlich zur Verbesserung der Unterrichtsqualität beiträgt.
Prof. Dr. Janos Hajdu, Institut für Theoretische Physik, Universität Köln
K. Schilcher: Theoretische Physik kompakt für das Lehramt
Oldenbourg Verlag München, 2010, 508 S., broschiert, ISBN 9783486588866