Claus Beisbart • 4/2022 • Seite 35 • DPG-MitgliederWas ist eine Computersimulation?
Wissenschaftsphilosophische Überlegungen zu einer wichtigen Methode der Physik
Ob es um Quarks, Biomoleküle oder Supernovae geht – bei ihren Untersuchungen stützt sich die heutige Physik oft auf die Computersimulation. Anfängliches Unbeha-gen über die Methode oder der flaue Gag, damit werde wissenschaftliches Vorgehen bloß simuliert, sind längst passé. Doch welchen Beitrag leistet die Methode zur physikalischen Forschung und wie sind ihre Ergebnisse zu bewerten?
Fortschritt in der Physik lässt sich nicht bloß an neuen Ergebnissen und Erkenntnissen festmachen, denn sie entwickelt sich auch methodisch weiter. Eine der spannendsten Neuerungen in dieser Hinsicht ist die Computersimulation (kurz: Simulation), die sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts in immer mehr Teildisziplinen der Physik etabliert hat. Die Physiker Kurt Binder und Dieter W. Heermann sprechen in diesem Zusammenhang sogar von einer Revolution und behaupten, dass die Computersimulation die traditionelle Einteilung in experimentelle und theoretische Physik obsolet macht ([1], S. 1). In jedem Fall wirft die neue Methode Fragen auf: Was tun wir eigentlich, wenn wir eine Computersimulation laufen lassen? Welchen Beitrag leistet sie zur physikalischen Forschung? In welchem Verhältnis steht die Computersimulation zu anderen Methoden der Physik? Und wie glaubwürdig sind Simulationen?
Fragen wie diese beziehen sich nicht mehr auf die Objekte physikalischer Forschung, sondern machen die Physik selbst zum Thema. Sie laden damit zu einer wissenschaftsphilosophischen Diskussion über physikalische Methoden ein. In der Tat wird die Diskussion über die Simulation in der Wissenschaftsphilosophie seit zwei Jahrzehnten intensiv geführt, z. B. [2, 3]. Dies wurde erforderlich, weil die Methode in den bisherigen Charakterisierungen des wissenschaftlichen Vorgehens etwa durch Karl Popper, Thomas Kuhn oder auch die Bayesianische Erkenntnistheorie nicht vorkommt – zumindest nicht explizit. Hier möchte ich Einsichten aus der wissenschaftsphilosophischen Diskussion verwenden, um die oben genannten Fragen zu beantworten. Dabei geht es teilweise auch um eine Bewertung von Simulationen. Ich starte jedoch mit einer Analyse dessen, was unter der Bezeichnung „Simulation“ in der Praxis betrieben wird. (...)
weiterlesen Meinard Kuhlmann • 6/2016 • Seite 29Sein oder Nichtsein?
Felder, Teilchen, Tropen – die Quantenfeldtheorie im Dialog zwischen Philosophie und Physik.
Die Quantenfeldtheorie gehört zu den erfolgreichsten Theorien, die es je gab. Sie hat sich bei der Erklärung der verschiedensten Phänomene bewährt, ihre Vorhersagen sind von unübertroffener Genauigkeit. Damit könnte man sich zufrieden geben. Doch wer ein tieferes Verständnis dieser und anderer fundamentaler Theorien sucht, kommt nicht umhin, sich ihr auch mit philosophischen Mitteln zuzuwenden. Gleichzeitig ist die Philosophie damit konfrontiert, dass sie sich auch im Licht der physikalischen Erkenntnisse bewähren sollte. Ein Frage, in der Philosophie und Physik aufeinander treffen, lautet: Was sind eigentlich die fundamentalen „Entitäten“ der Quantenfeldtheorie, und sind sie real?
Die Ontologie befasst sich in der Philosophie mit dem Seienden im allgemeinsten Sinne. Nach traditioneller Auffassung ist sie eine so allgemeine Disziplin, dass für sie keine speziellen wissenschaftlichen Einsichten eine Relevanz haben. Im Rahmen der Ontologie geht es beispielsweise ganz allgemein darum, was Eigenschaften und Dinge sind und wie sie zueinander stehen. Sind Eigenschaften Teile von Dingen? Aber wie könnten dann zwei verschiedene Dinge dieselbe Eigenschaft haben? Und wieso sagen wir manchmal, dass Dinge (wie etwa Menschen) sich verändern und trotzdem ihre Identität beibehalten, und manchmal, dass Dinge durch Veränderung aufhören zu existieren, wie etwa beim Schmelzen eines Eiswürfels? Wie immer man diese Fragen beantworten möge, die Antworten scheinen nicht davon abzuhängen, welche Eigenschaften und Dinge es konkret in der Welt gibt. Denn das sind zufällige Tatsachen, die auf allgemeine Überlegungen keinen Einfluss haben können – so wie es auch für die Arithmetik keine Bedeutung hat, welche Dinge zahlenmäßig erfasst werden.
Doch immer wieder haben Ergebnisse der empirischen Wissenschaften, nicht zuletzt in der modernen Physik, angebliche Denknotwendigkeiten ins Wanken gebracht: Raum und Zeit sind nicht notwendig euklidisch, Kausalität impliziert doch keinen Determinismus, oder zwei Dinge (wie Elektronen) können in allen Eigenschaften übereinstimmen und trotzdem nicht ein und dasselbe Ding sein. Angesichts solcher Erfahrungen ist in der so genannten analytischen Ontologie heute die Ansicht verbreitet, dass eine Berücksichtigung aktueller naturwissenschaftlicher Erkenntnisse unverzichtbar ist. Die Ansätze der Ontologie müssen sich im Lichte dieser Erkenntnisse bewähren. (...)
weiterlesen Roland Bennewitz und Niko Strobach • 3/2015 • Seite 37Kann man Atome sehen?
Rasterkraftmikroskopie und die Philosophie des Abbildens.
In welchem Maße vermag die Rasterkraftmikroskopie, einzelne Atome abzubilden? Diese Frage zielt nicht nur auf den versierten Einsatz von Messgeräten. Vielmehr stellt sich dabei die grundsätzliche Problematik ein, was „Sehen“ und „Abbilden“ überhaupt heißen kann. Diesem konzeptuellen Problem können und sollten sich Physik und Philosophie gemeinsam stellen.
Sehen Sie Atome? Diese Frage stellte Hans-Joachim Güntherodt (1939 – 2014), der Basler Pionier der Rasterkraftmikroskopie, oft seinen Mitarbeitern beim Laborrundgang. Sie hatte nicht nur in den ersten Jahren nach der Einführung dieser experimentellen Methode ihre Berechtigung, sondern führt auf ganz grundsätzliche Aspekte. Diese lassen sich an einem aktuellen, sehr erfolgreichen Experiment diskutieren, bei dem ein einzelnes Pentacen-Molekül mit einem Rasterkraftmikroskop untersucht wird. In der Darstellung und Interpretation seines Ergebnisses (Abb. 1) greifen Schönheit der Darstellung, Klarheit der Aussage und konzeptionelle Verwirrung unmittelbar ineinander. Es stellen sich verschiedene Fragen, zum Beispiel ob die Einfärbung der Messergebnisse angemessen ist. Welchen Glauben an die Existenz von Atomen setzt es voraus, diese als schillernde Kugeln darzustellen? Ausgehend von diesen Fragen möchten wir hier zeigen, was Philosophen und Physiker in den gemeinsamen Blick nehmen können, um Grundsätzliches über Sehen und Abbilden in der Naturwissenschaft zu lernen.
Doch zunächst zur Funktionsweise eines Rasterkraftmikroskops: Dieses fährt mit einer extrem feinen Spitze mit einem Radius von nur wenigen Nanometern die zu untersuchende Oberfläche ab. Anhand der gemessenen Kräfte, die auf die Spitze wirken, lassen sich die Wechselwirkungen zwischen Spitze und Probe kartieren. Regelt man den Abstand der Spitze so nach, dass eine konstante Kraft wirkt, kann man eine Karte der Oberflächenform aufzeichnen. Im einfachsten Fall berührt die Spitze in Kontakt dabei die Probe. Die repulsiven Kräfte zwischen Spitze und Oberfläche sind über die Verbiegung einer mikroskopischen Blattfeder messbar, die an ihrem Ende die Spitze trägt. Die Spitze fährt also im repulsiven Kontakt die Form der Oberfläche nach. Das Ergebnis der Messung ist eine Zahlenmatrix, welche die vertikale Position der Spitze als Funktion ihrer lateralen Position angibt. Daraus wird ein Bild erzeugt, in dem die vertikale Position als Farbe kodiert ist. Typische Farbskalen weisen höheren Zahlenwerten hellere Farbtöne zu. Kontraste werden eingestellt, indem der Farbverlauf an die Verteilung der gemessenen Höhenwerte angepasst wird. Der Farbverlauf ist in der Regel so gewählt, dass die topographischen Kontraste gut zu erkennen sind. Teilweise sind die Ergebnisse auch als berechnete Projektion einer dreidimensionalen Fläche dargestellt, wobei durch Beleuchtungs- und Schattierungseffekte Details der Topographie noch deutlicher hervortreten (Abb. 1 und Beispiel im Infokasten).
weiterlesen Fynn Ole Engler • 3/2010 • Seite 50Revolutionen oder stetiger Wandel?
Auf den Spuren der Wissenschaftsphilosophie Max Borns
Alexander Pawlak • 6/2008 • Seite 24Forschung, Fragen, Formalismen
Die deutschen Wissenschaftsphilosophen wagten in Bonn eine Bestandsaufnahme ihres Faches.
Alexander Pawlak • 11/2007 • Seite 25
Der Physik auf den Geist gehen
Dieter Hoffmann, Reimar Lüst, Hans-Peter Dürr, Helmut Rechenberg, Götz Neuneck und Thomas Görnitz • 7/2007 • Seite 53
Carl Friedrich von Weizsäcker (1912 - 2007)
Brigitte Falkenburg und Wolfgang Rhode • 9/2004 • Seite 3
Physik und Erkenntnistheorie
Paul Hoyningen-Huene • 6/2023 • Seite 52 • DPG-Mitglieder
Thomas S. Kuhn: The Last Writings of Thomas S. Kuhn
Irena Doicescu • 1/2018 • Seite 66
S. Lohse und Th. Reydon (Hrsg.): Grundriss Wissenschaftsphilosophie
Jan C. Schmidt • 10/2017 • Seite 68
Thomas Kirchhoff et al. (Hrsg.): Naturphilosophie. Ein Lehr- und Studienbuch
Werner Eisner • 9/2015 • Seite 88
C. Friebe et al.: Philosophie der Quantenphysik
Matthias Hahn • 2/2015 • Seite 64
N. Sieroka: Philosophie der Physik - Eine Einführung
Helmut Fink • 4/2013 • Seite 53
Michael Esfeld (Hrsg.): Philosophie der Physik
Reiner Hedrich • 2/2007 • Seite 50
M. Carrier: Wissenschaftstheorie zur Einführung
Thomas Görnitz • 12/2006 • Seite 58
E. Scheibe: Die Philosophie der Physiker