Epistemologischer Blick auf den Large Hadron Collider
Projekt untersucht die größte Forschungsmaschine der Welt aus philosophischer, historischer und soziologischer Sicht.
Die Teilchenphysik am LHC erforscht die grundlegenden Bausteine und Kräfte, aus denen die Natur zusammengesetzt ist. In den letzten Jahrzehnten ist dabei ein Bild dieser Welt entstanden, das fast alle Messungen genau beschreiben kann. Diese Erfolge stehen aber im Gegensatz zu vielen offenen Fragen. So rätselt die Physik weiterhin darüber, wie eine umfassendere und fundamentalere Theorie der Natur aussehen könnte. Die DFG-Forschungsgruppe „The Epistemology of the Large Hadron Collider“ untersucht, auf welchen Grundlagen diese neue Theorie entwickelt wird und welche neuartigen Prinzipien der Wissenschaftsentwicklung dabei verwendet werden. Die Forschungsgruppe mit Wissenschaftlern aus den Bereichen Philosophie, Physik, Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftssoziologie von sieben Universitäten arbeitet bereits seit drei Jahren eng zusammen. Für die Verlängerung dieser Zusammenarbeit für weitere drei Jahre haben die DFG und der Österreichische Wissenschaftsfond FWF jetzt insgesamt rund 2,4 Millionen Euro bewilligt.
„Es ist nicht leicht, eine so wunderbar funktionierende aktive Kooperation über Wissenschaftskulturen hinweg zu finden. Im ganzen Verbund und in jedem einzelnen Teilprojekt arbeiten Physik und Philosophie, Geschichte oder Soziologie zusammen, und wir haben gemeinsame Interessen und eine gemeinsame Sprache gefunden“, erklärt Friedrich Steinle von der TU Berlin. „Der fachübergreifende Austausch an der TU Berlin hat uns hier geholfen und profitiert seinerseits davon.“ Zusammen mit seinem Kollegen Adrian Wüthrich erforscht Steinle im Rahmen des Projekts die Genese des heute in der Physik selbstverständlich verwendeten, aber zugleich merkwürdigen Begriffes des virtuellen Teilchens. In der ersten Laufzeit der Forschungsgruppe ging es darum, wie in der frühen Zeit der Quantenmechanik „virtuelle Übergänge“ oder „virtuelle Zustände“ Einzug in die theoretische Physik gehalten haben. In der zweiten Förderphase wird der Fokus auf der Etablierung und den weiteren Veränderungen dieses Begriffes von seiner Einführung durch Richard Feynman und andere bis zur Genese des bis heute gültigen sog. Standardmodells der Teilchenphysik liegen.
Die Forschungsgruppe ist Ergebnis einer über zehnjährigen Zusammenarbeit zwischen Geisteswissenschaften und Physik zu Themen des Large Hadron Collider. Die riesigen Messeinrichtungen am LHC, an denen zehntausend Physiker arbeiten und Trillionen von Daten gesammelt werden, stellen neuartige Fragen, die untersucht werden: Wie kann neue Erkenntnis in einem so komplexen Umfeld erzeugt werden? „Die komplexen Forschungsbedingungen der Teilchenphysik sind eine Herausforderung für das Streben nach immer einfacheren und umfassenderen Beschreibungen der Natur. Die Zusammenarbeit der Physik mit der Philosophie ermöglicht neue und bisher unzugängliche Einblicke in dieses Forschungsgebiet“, sagt Gregor Schiemann von der Bergischen Universität Wuppertal zur Idee der Forschungsgruppe, die sich aus Experten aus Deutschland, Österreich und den USA zusammensetzt.
TU Berlin / RK
Weitere Infos:
- The Epistemology of the Large Hadron Collider
- Large Hadron Collider, CERN – Europäische Organisation für Kernforschung