17.12.2019 • Teilchenphysik

Epistemologischer Blick auf den Large Hadron Collider

Projekt untersucht die größte Forschungsmaschine der Welt aus philosophischer, historischer und soziologischer Sicht.

Die Teilchenphysik am LHC erforscht die grundlegenden Bausteine und Kräfte, aus denen die Natur zusammen­gesetzt ist. In den letzten Jahrzehnten ist dabei ein Bild dieser Welt entstanden, das fast alle Messungen genau beschreiben kann. Diese Erfolge stehen aber im Gegensatz zu vielen offenen Fragen. So rätselt die Physik weiterhin darüber, wie eine umfassendere und fundamentalere Theorie der Natur aussehen könnte. Die DFG-Forschungs­gruppe „The Epistemology of the Large Hadron Collider“ untersucht, auf welchen Grund­lagen diese neue Theorie entwickelt wird und welche neuartigen Prinzipien der Wissen­schafts­ent­wicklung dabei verwendet werden. Die Forschungs­gruppe mit Wissen­schaftlern aus den Bereichen Philosophie, Physik, Wissen­schafts­geschichte und Wissen­schafts­soziologie von sieben Univer­sitäten arbeitet bereits seit drei Jahren eng zusammen. Für die Verlängerung dieser Zusammen­arbeit für weitere drei Jahre haben die DFG und der Öster­reichische Wissen­schafts­fond FWF jetzt insgesamt rund 2,4 Millionen Euro bewilligt.

Abb.: Blick in den Tunnel des Large Hadron Collider. (Bild: CERN)
Abb.: Blick in den Tunnel des Large Hadron Collider. (Bild: CERN)

„Es ist nicht leicht, eine so wunderbar funktionierende aktive Kooperation über Wissen­schafts­kulturen hinweg zu finden. Im ganzen Verbund und in jedem einzelnen Teil­projekt arbeiten Physik und Philosophie, Geschichte oder Soziologie zusammen, und wir haben gemeinsame Interessen und eine gemeinsame Sprache gefunden“, erklärt Friedrich Steinle von der TU Berlin. „Der fach­über­greifende Austausch an der TU Berlin hat uns hier geholfen und profitiert seinerseits davon.“ Zusammen mit seinem Kollegen Adrian Wüthrich erforscht Steinle im Rahmen des Projekts die Genese des heute in der Physik selbst­ver­ständlich verwendeten, aber zugleich merk­würdigen Begriffes des virtuellen Teilchens. In der ersten Laufzeit der Forschungs­gruppe ging es darum, wie in der frühen Zeit der Quanten­mechanik „virtuelle Übergänge“ oder „virtuelle Zustände“ Einzug in die theoretische Physik gehalten haben. In der zweiten Förder­phase wird der Fokus auf der Etablierung und den weiteren Veränderungen dieses Begriffes von seiner Einführung durch Richard Feynman und andere bis zur Genese des bis heute gültigen sog. Standard­modells der Teilchen­physik liegen.

Die Forschungsgruppe ist Ergebnis einer über zehn­jährigen Zusammen­arbeit zwischen Geistes­wissen­schaften und Physik zu Themen des Large Hadron Collider. Die riesigen Mess­ein­richtungen am LHC, an denen zehn­tausend Physiker arbeiten und Trillionen von Daten gesammelt werden, stellen neuartige Fragen, die untersucht werden: Wie kann neue Erkenntnis in einem so komplexen Umfeld erzeugt werden? „Die komplexen Forschungs­bedingungen der Teilchen­physik sind eine Heraus­forderung für das Streben nach immer einfacheren und umfassenderen Beschreibungen der Natur. Die Zusammen­arbeit der Physik mit der Philosophie ermöglicht neue und bisher unzugäng­liche Einblicke in dieses Forschungs­gebiet“, sagt Gregor Schiemann von der Bergischen Universität Wuppertal zur Idee der Forschungs­gruppe, die sich aus Experten aus Deutschland, Österreich und den USA zusammensetzt.

TU Berlin / RK

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