30.06.2015

1.7.: Der längste Tag des Jahres

In der Nacht zum Mittwoch fügt die PTB eine Schalt­sekunde in ihre Zeitsignale ein.

Genau drei Jahre nach der letzten Schaltsekunde ist es wieder soweit: In der Nacht zum 1. Juli 2015 wird es eine Extra-Sekunde geben. Damit werden die koordinierte Weltzeit UTC und unsere gesetzliche Zeit, aktuell die mittel­europäische Sommerzeit MESZ, um eine Sekunde verlängert. Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt folgt der Vorgabe des Interna­tionalen Erd-Rotations-Service IERS in Paris und fügt die Schaltsekunde in die Signale ihrer Zeitdienste ein: in die DCF77-Zeitaus­sendung für Funkuhren, den Telefon­zeitdienst und den Internet-Zeitdienst über NTP. Nötig ist diese Maßnahme, weil die Atomuhren gleich­mäßiger „ticken“, als sich die Erde dreht.

Abb.: Sendemast von DCF77 in Mainflingen, südöstlich von Frankfurt/Main – mit normalen Langwellen-Radios lässt sich das Zeit-Signal zwar nicht empfangen, wohl aber mit Funkuhren, die die amtliche Zeit „drahtlos“ ins Haus oder ans Handgelenk holen. (Abb.: PTB)

„Zeit ist das, was man an der Uhr abliest“, soll Albert Einstein, einst Kurator der PTB-Vor­gängerin, der Physikalisch-Technischen Reichs­anstalt PTR, gesagt haben. Solange Menschen Uhren bauen, suchen sie nach möglichst stabilen, periodischen Vorgängen als Taktgeber: Schwingungen von Pendeln, in Quarz­kristallen – seit zirka 1930 – und ab 1967 auch in Cäsium-Atomen. So ist definitions­gemäß exakt nach 9.192.631.770 Schwingungen eines Mikrowellen­signals, das Cäsium-Atome in einer Atomuhr anregt, genau eine Sekunde vergangen. Diese Schwingungs­zahl wurde im Jahr 1967 von der General­konferenz der Meter­konvention festgelegt und in die Definition der SI-Basis­einheit Sekunde geschrieben. Sie orientierte sich allerdings letztlich doch an der Rotations­periode der Erde, des klassischen Taktgebers unseres Lebens auf der Erde.

Aus astronomischen Beobachtungen weiß man schon seit Langem, dass die Erde ganz allmählich langsamer wird – und zudem eiert sie, die Rotations­periode ist veränderlich. Die Reibung der Gezeiten sorgt für ein stetiges Abbremsen der Erde. Die Lage der Rotationsachse im Erdkörper verändert sich – und zusätzlich können Erdbeben, das Schmelzen der Gletscher und die Massen­verteilung in der Atmo­sphäre im Lauf der Jahres­zeiten die Dreh­geschwin­digkeit der Erde verändern. Der letzt­genannte Effekt konnte erstmals mit den Quarzuhren der PTR in den dreißiger Jahren des letzten Jahr­hunderts nachgewiesen werden.

„Atomuhren sind heute die Grundlage für die genaue Beobachtung der Erdrotation. Die von ihnen abgeleitete Uhrzeit passt aber eben nicht perfekt zu unserem ganz natürlichen Zeitmaß“, erklärt der Physiker Andreas Bauch, der in der PTB für die Aussendung der Zeitsignale zuständig ist. Bereits im Jahr 1972 hinkte die aus der Drehung der Erde abgeleitete Weltzeit der Atomzeit aus den Cäsium-Uhren um 10 Sekunden hinterher. Bis dahin hatte man Anpassungen in kleinen Schritten und zudem nicht weltweit auf die gleiche Weise vorgenommen. Dann entschloss man sich, fortan eine Zeitskala mit Schalt­sekunden als weltweite Referenz­zeit zu verwenden. Die Uhrzeit wird so näherungs­weise im Einklang mit der Erdrotation, also der Weltzeit gehalten, immer innerhalb von 0,9 Sekunden. Seitdem machen Schalt­sekunden aus der Atomzeit die „koordi­nierte Weltzeit“ UTC.

Wie unregelmäßig schnell sich die Erde dreht, sieht man daran, dass zwischen 1999 und 2006 sieben Jahre vergingen, bevor eine Schalt­sekunde nötig wurde; danach waren es drei Jahre, dann 3,5 Jahre und jetzt wieder drei Jahre. Die aktuelle Tageslänge wird aus der Winkel­stellung der Erde im Raum mit Bezug auf Quasare über Radio­teleskope und auf die Satelliten des GPS-Navigations­systems ermittelt. Nun hat der Internationale Erd-Rotations-Service IERS, der diese Messungen sammelt und auswertet, die 26. Schalt­sekunde seit dem 1.1. 1972 angeordnet. Sie wird weltweit zum selben Zeitpunkt eingefügt: am 30. Juni 2015 nach 23:59:59 koordi­nierter Weltzeit, in unserer gesetzlichen Zeit also am 1. Juli nach 01:59:59 Uhr. Chronometer, die in Überein­stimmung mit der gesetzlichen Zeit gehalten werden sollen, müssen dann um eine Sekunde angehalten werden. Besitzer von Funkuhren brauchen sich um nichts zu kümmern. Das Programm des Langwellen­senders DCF77 in Mainflingen, über den die PTB die Zeit­signale aussendet, wurde bereits für die Einführung der Schalt­sekunde vorbereitet.

Im normalen Alltag ist diese Schaltsekunde nicht wirklich relevant. Anders ist das beispielsweise in der Astronomie, da bei der Ausrichtung eines Teleskops Weltzeit und Atomzeit übereinstimmen oder der Unterschied zwischen beiden Zeitskalen exakt bekannt sein muss. Es ist dokumentiert, dass die Einfügung der Schaltsekunde in Betriebssystemen von Computern und speziell bei der Erzeugung von eindeutigen Zeitstempeln Probleme bereitet hat. Ebenso ist es möglich, dass die Schaltsekunde bei Energie­versorgern sowie Tele­kommunika­tions­unter­nehmen, die auf sekunden­genaue Abrechnung angewiesen sind, Probleme verursacht. Wolle man die Wahrschein­lichkeit für solche Fehler verringern, so fordern Kritiker, müsse die Schalt­sekunde eigentlich abgeschafft werden. Seit Jahren wird nun schon das Für und Wider von Schalt­sekunden diskutiert. Eine Entscheidung wird vermutlich im November 2015 auf der World Radio­communi­cation Conference WRC-15 der Interna­tionalen Tele­kommuni­kations­union ITU fallen. Für 2015 verbleibt uns jedenfalls die zusätzliche Sekunde.

PTB / OD

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