10.10.2013

Allein im All

Zwei neu entdeckte Himmelskörper ohne Muttersonnen helfen Astronomen beim Verständnis der Sternentstehung.

Wissenschaftler, unter ihnen auch Niall Deacon vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, haben das Bild eines ungewöhnlichen, frei im All treibenden Planeten aufgenommen. Ohne Heimatstern ist das Objekt ungleich einfacher zu untersuchen als ein normaler Planet und verspricht neue Erkenntnisse über die Eigenschaften von Planetenatmosphären. Zu der Frage, wie sich derart massearme Einzelobjekte bilden, liefern unabhängige Beobachtungen eines Teams um Viki Joergens, ebenfalls aus dem Heidelberger Institut, neue Daten: Die Forscher fanden heraus, dass ein ganz ähnliches massearmes Objekt auf die gleiche Weise geboren wird wie ein junger Stern.

Abb.: Einzelgänger I: Das Objekt PSO J318.5-22 besitzt etwa die sechsfache Masse wie der größte Planet unseres Sonnensystems und reist ohne Heimatstern durch das All – ein ideales Ziel für direkte Beobachtungen. (Bild: MPIA, V. Ch. Quetz)


Zwei Entdeckungen haben die Grenze zwischen den verschiedenen Typen von Himmelskörpern weiter verwischt: Danach können auch frei im All treibende Objekte mit ähnlicher Masse wie die Planeten auf die gleiche Weise entstehen wie Sterne.

Die erste Entdeckung gelang einem internationalen Team unter der Leitung von Michael Liu von der Universität Hawaii. Die Astronomen fanden mit dem Pan-STARRS1 (PS1)-Teleskop auf Hawaii ein exotisches junges Himmelsobjekt mit gerade einmal dem Sechsfachen der Jupitermasse, das allein durch den Weltraum treibt – ganz ohne Heimatstern.

Das Objekt mit der Katalognummer PSO J318.5-22 befindet sich von der Erde aus gesehen in einem Abstand von nur 80 Lichtjahren im Sternbild Steinbock. Es hat ähnliche Eigenschaften wie die gigantischen Gasplaneten, die man in der Nähe einiger junger Sonnen aufgespürt hat. Mit einem Alter von rund zwölf Millionen Jahren ist der Himmelskörper, gemessen an den Zeitskalen der Stern- und Planetenentstehung, noch recht jung.

Seit 1995 haben Astronomen rund 1000 Exoplaneten entdeckt, allerdings fast immer nur auf indirektem Wege, über ein leichtes Schlingern oder eine geringe Verdunkelung des Heimatsterns. Nur von einer Handvoll von Exoplaneten gibt es Abbildungen – und zwar jeweils von Planeten mit jungen Heimatsternen (weniger als 200 Millionen Jahre alt). In Masse, Farbe und Energieausstoß hat PSO J318.5-22 große Ähnlichkeit mit den auf diesen Bildern sichtbaren Objekten.

PSO J318.5-22 aber kreise nicht um einen Stern und werde sich daher ungleich einfacher studieren lassen. Mit nur sechs Jupitermassen ist es eines der masseärmsten frei im All treibenden Objekte, die man außerhalb unseres Sonnensystems nachgewiesen hat – womöglich sogar das masseärmste.

Herkömmliche Planeten werden in Gas- und Staubscheiben rund um ihren in Entstehung befindlichen Heimatstern geboren. Aber wie sieht es bei Einzelobjekten mit so geringer Masse aus? Können sich frei treibende Objekte, aber etwa auch Braune Zwerge ganz allgemein, auf die gleiche Weise bilden wie herkömmliche Sterne? Eine umfangreiche Untersuchung, die eine weitere Gruppe von Astronomen unter der Leitung von Viki Joergens zeitgleich veröffentlicht hat, legt das nahe.

Abb.: Einzelgänger II: Das Objekt OTS44 hat sich offenbar in der gleichen Weise gebildet wie ein Stern. Auch jetzt noch fallen beachtliche Mengen von Materie aus der umgebenden Scheibe auf OTS44. (Bild: M. Quetz)


Joergens und ihre Kollegen untersuchten ein Objekt mit der Katalognummer OTS44, das nur rund zwei Millionen Jahre alt ist – auf den Zeitskalen der Planeten- und Sternentstehung gleichsam ein Neugeborenes. Das Objekt hat eine Masse vom schätzungsweise Zwölffachen der des Jupiters (also etwas mehr als PSO J318.5-22). Es treibt ebenfalls ohne Heimatstern durch das All – jedoch in einem durchaus „belebten“ Gebiet: OTS44 ist Teil der Chamaeleon-Sternentstehungsregion im südlichen Sternbild Chamaeleon, etwas mehr als 500 Lichtjahre von der Erde entfernt. Dort werden viele neue Sterne aus dem Kollaps von Gas- und Staubwolken geboren.

Genau wie ein junger Stern ist OTS44 von einer Scheibe aus Gas und Staub umgeben. Und, wie die Gruppe um Joergens gezeigt hat: Die Geburt ist noch gar nicht ganz abgeschlossen. Die Astronomen zerlegten das Licht von OTS44 mittels des SINFONI-Spektrografen am Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte in seine Bestandteile. Dabei fanden sie Anzeichen dafür, dass OTS44 auch jetzt noch Materie aus der ihn umgebenden Scheibe auf sich zieht und so an Masse zunimmt.

Durch den Vergleich von Daten verschiedener Teleskope – unter anderem des Weltraumteleskops Herschel – mit einem sorgfältig rekonstruierten Modell des freifliegenden Planeten konnten Joergens und ihre Kollegen außerdem nachweisen, dass die Scheibe, die OTS44 umgibt, mindestens 30-mal soviel Masse in sich vereint wie die Erde. Anzeichen für die Scheibe selbst waren bereits zuvor von anderen Astronomen nachgewiesen worden.

Sowohl die beachtliche Scheibe als auch das einfallende Material (Akkretion) dürfen als klare Hinweise auf Entstehungsprozesse gelten, wie sie für die Sterngeburt typisch sind. Zumindest von der Entstehung her scheint es keinen grundlegenden Unterschied zwischen Objekten wie OTS44 und herkömmlichen Sternen zu geben. OTS44 hat dabei mit die niedrigste Masse aller Objekte, bei denen man eine Scheibe und einfallendes Material nachgewiesen hat.

Beide Objekte fügen sich nicht recht in die existierenden Kategorien ein. Einsamer Planet oder Brauner Zwerg mit extrem geringer Masse? Wer auf Nummer sicher gehen möchte, der sollte allgemeiner von frei schwebenden Objekten mit planetaren Massen reden.

MPG / PH

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