23.12.2024

Anomales magnetisches Moment des Myons: Neue Berechnung bestätigt Standardmodell der Teilchenphysik

Beitrag der hadronischen Vakuumpolarisation mit zuvor unerreichter Genauigkeit ermittelt.

Das magnetische Moment des Myons ist eine wichtige Präzisionsgröße, um das Standardmodell der Teilchenphysik auf den Prüfstand zu stellen. Nach jahrelanger Arbeit hat die Arbeitsgruppe von Hartmut Wittig vom Exzellenzcluster PRISMA+ der Uni Mainz diese Größe mit der Gitter-Quantenchromodynamik-Methode berechnet. Ihr Ergebnis stimmt im Gegensatz zu früheren theoretischen Berechnungen mit den neuesten experimentellen Messungen überein. Nachdem die experimentellen Messungen in den vergangenen Jahren zu immer höherer Präzision vorangetrieben worden waren, hatte sich der Blick verstärkt auf die theoretische Vorhersage und die zentrale Frage gerichtet, ob diese signifikant von den experimentellen Ergebnissen abweicht und damit den Beweis für die Existenz neuer Physik jenseits des Standardmodells erbringt.

Abb.: Der Hochleistungsrechner MOGON II der JGU Mainz wurde für die Berechnung...
Abb.: Der Hochleistungsrechner MOGON II der JGU Mainz wurde für die Berechnung des anomalen magnetischen Moments des Myons mit Hilfe der Gitter-QCD-Methode genutzt.
Quelle: S. F. Sämmer, JGU

Das anomale magnetische Moment ist eine innere Eigenschaft von Elementarteilchen wie dem Elektron oder dessen schwererem Bruder, dem Myon. Die Berechnung dieser Größe mit genügend großer Genauigkeit im Rahmen des Standardmodells ist eine enorme Herausforderung. Mit Ausnahme der Schwerkraft tragen alle fundamentalen Wechselwirkungen zum anomalen magnetischen Moment bei. Dabei bereiten die Beiträge der starken Wechselwirkung, die die Kräfte zwischen den Grundbausteinen von Protonen und Neutronen, den Quarks, beschreibt, den Physikern besonders große Schwierigkeiten.

Die Hauptquelle der Unsicherheit in der theoretischen Berechnung des anomalen magnetischen Moments des Myons ist der Beitrag der hadronischen Vakuumpolarisation. Traditionell wurde dieser Beitrag unter Einbeziehung experimenteller Daten bestimmt – man spricht in diesem Fall von der datengetriebenen Methode. Tatsächlich lieferte diese Technik über viele Jahre eine signifikante Abweichung vom experimentellen Messwert und somit auch einen der vielversprechendsten Hinweise auf die Existenz neuer Physik.

Wittigs Gruppe hat nun ein neues Ergebnis für den HVP-Beitrag veröffentlicht, das mit der komplementären Methode der Gitter-QCD erzielt wurde. „Mit unserer Arbeit bestätigen wir frühere Hinweise, die eine deutliche Abweichung zwischen der datengetriebenen Methode und Gitter-QCD-Rechnungen nahelegen“, sagt Wittig. „Gleichzeitig müssen wir aus unserem Ergebnis den Schluss ziehen, dass sich das Standardmodell wieder einmal bestätigt hat, denn unser Resultat stimmt mit der experimentellen Messung überein.“

Im Jahr 2020 veröffentlichte die „Muon g-2 Theory Initiative“ – eine internationale Gruppe von 130 Physikern – einen Referenzwert für die theoretische Vorhersage des anomalen magnetischen Moments des Myons im Rahmen des Standardmodells, der auf der datengetriebenen Methode basiert. Dieser zeigte tatsächlich eine deutliche Abweichung von den neuen direkten Messungen dieser Größe, die seit 2021 am Fermilab in der Nähe von Chicago durchgeführt werden.

Seit der Veröffentlichung neuer Resultate des CMD-3 Experiments in Novosibirsk im Februar 2023 ist dieser Referenzwert jedoch in die Kritik geraten, da die Standardmodell-Vorhersage stark variiert, je nachdem welcher Datensatz dafür verwendet wird. Um sich von den Nachteilen der datengetriebenen Methode zu lösen, hat sich die Gruppe von Wittig auf Berechnungen mit Hilfe der Gitter-QCD-Methode konzentriert, die eine numerische Berechnung der Beiträge der starken Wechselwirkung mithilfe von Großrechnern erlaubt. Der Vorteil eines solchen Ansatzes ist, dass er im Gegensatz zu dem 2020 veröffentlichten Wert Ergebnisse liefert, die keine experimentellen Daten benötigen.

Wittigs Gruppe hat sich auf die Berechnung des Beitrags der HVP konzentriert, die den größten Beitrag der starken Wechselwirkung zum anomalen magnetischen Moment des Myons liefert. In ihrer jüngsten Arbeit hat das Team einen neuen Wert für das anomale magnetische Moment des Myons ermittelt, der mit dem aktuellen experimentellen Mittelwert übereinstimmt und weit von der theoretischen Schätzung von 2020 entfernt ist.

„Nach jahrelanger Arbeit an der Verringerung der Unsicherheiten unserer Berechnungen und der Überwindung der rechnerischen Herausforderungen, die mit der Durchführung solcher Gitter-QCD-Berechnungen verbunden sind, haben wir den HVP-Beitrag mit einer Gesamtgenauigkeit von knapp unter einem Prozent und einer guten Balance zwischen statistischen und systematischen Unsicherheiten ermittelt“, sagt Wittig. „Das erlaubt es uns, die Gültigkeit des Standardmodells neu zu bewerten.“

Auch wenn das neue Ergebnis das Standardmodell wieder einmal bestätigt, geben noch viele Dinge Rätsel auf. Woher der Unterschied zwischen der Gitter-QCD- und der datengetriebenen Methode stammt und wie das Ergebnis des CMD-3-Experiments bewertet werden muss, ist bislang nicht verstanden. „Wir haben noch einen weiten Weg vor uns, um unser langfristiges Ziel zu erreichen, den Gesamtfehler auf etwa 0,2 Prozent zu reduzieren. Egal, wie man es betrachtet: Wir kommen nicht um die Tatsache herum, dass es erklärungsbedürftige Diskrepanzen beim anomalen magnetischen Moment des Myons gibt. Für uns gibt es da noch viel Neues zu verstehen“, so Wittig.

JGU Mainz / RK

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