08.03.2021

Aufbruch in die Multi-Messenger-Astronomie

Die Kombination von Gravitationswellen- und Neutrinodetektoren mit konventionellen Observatorien eröffnet überraschende Möglichkeiten.

Jedes Mal, wenn wir in einer klaren Nacht nach oben schauen und mit unseren Augen den Himmel beobachten, nehmen wir nüchtern betrachtet nichts anders wahr als elektromagnetische Strahlung im optischen Wellenlängenbereich. Wir sehen so aber nur einen sehr kleinen Teil des Himmels. Aus dem Kosmos erreicht uns viel mehr Information. Ferne Objekte senden uns elektromagnetische Strahlung von Radiowellen über den optischen Bereich bis hin zur Gammastrahlung; und es ist erstaunlich, welche tiefen Einblicke in unser Universum uns diese Informationen gerade in den letzten Jahrzehnten ermöglicht haben. Und das ist nicht alles.

Abb.: Das IceCube‐Labor nahe der antarktischen Amundsen‐Scott‐Station...
Abb.: Das IceCube‐Labor nahe der antarktischen Amundsen‐Scott‐Station (Bild: Felipe Pedreros, IceCube / NSF)

Die Natur schickt uns weitere Boten. Wir kennen die geladene kosmische Strahlung, im Wesentlichen Protonen, die einen gewaltigen Energiebereich überdecken. Die höchstenergetischen Teilchen der kosmischen Strahlung weisen Millionen Mal höhere Energien auf, als wir selbst mit den größten irdischen Teilchenbeschleunigern erreichen können. Aber obwohl wir die kosmische Strahlung schon seit über einhundert Jahren kennen, wissen wir bis heute nicht, wo ihre Quellen sind und welche Prozesse die Teilchen auf diese hohen Energien beschleunigen.

Neutrinos könnten uns eine Antwort geben. Sie sind die vielleicht seltsamsten elementaren Teilchen. Obwohl wir wesentliche Eigenschaften der Neutrinos nicht kennen, sind sie herausragende kosmische Botenteilchen. Sie sind elektrisch neutral und spüren nur die schwache Kernkraft. Das bedeutet, dass sie ungehindert große Entfernungen zurücklegen können und Informationen direkt aus dem Innersten der kosmischen Beschleuniger zu uns tragen.

Was auf der einen Seite ein Vorteil ist, ist auf der anderen Seite eine große Herausforderung. Markus Ackermann berichtet auf Seite 66, wie lange es gedauert hat und wie groß der Aufwand war, an einem der rauesten Orte des Planeten, dem Südpol, mit dem IceCube-Experiment erstmals kosmische, hochenergetische Neutrinos nachzuweisen. Und nicht nur das. Die gleichzeitige Beobachtung eines hochenergetischen Neutrinos und eines Gammastrahlenausbruchs ist der bisher stärkste Hinweise, dass aktive Galaxienkerne Beschleuniger der kosmischen Strahlung sind.

Nicht nur bei hohen, sondern auch bei niedrigen Energien spielen Neutrinos eine große Rolle. Sie erreichen uns direkt aus dem Innersten unserer Sonne und ermöglichen es, die zentralen Energieerzeugungsprozesse im Kern zu „sehen“. Kai Zuber beschreibt auf Seite 73, wie es jetzt gelungen ist, solare Neutrinos aus dem CNO-Zyklus nachzuweisen. Dieser Fusionsprozess spielt in unserer Sonne zwar nur eine untergeordnete, bei massereicheren Sternen aber eine wesentliche Rolle. Und obwohl es sich bei der Messung um eine astronomische Beobachtung handelt, wurde sie, wie auch die Messungen mit dem IceCube-Experiment am Südpol, mit einem eher untypischen astronomischen Instrument durchgeführt, dem BOREXINO-Experiment tief im Gran Sasso-Massiv in Zentralitalien. Viele neue Erkenntnisse also.

Die Astronomie wandelt sich zurzeit grundlegend, ganz neue Fenster zum Universum öffnen sich. Vor langer Zeit begann sie mit Beobachtungen optischer Strahlung mit dem bloßen Auge, im Laufe der Zeit dehnte der Einsatz von Teleskopen die Beobachtungen auf das gesamte elektromagnetische Spektrum aus. Heute baut sie ihre Methoden durch die Messung von weiteren kosmischen Boten mit verschiedenen Instrumenten überall auf der Welt, auch tief unter der Erde, aus. Auch die spektakulären Beobachtungen von Gravitationswellen aus Verschmelzungen von Schwarzen Löchern oder Neutronensternen werden mit Apparaten durchgeführt, die nur sehr entfernt an klassische astronomische Instrumente erinnern.

So sind wir nun erstmalig in der Lage, alle kosmischen Boten, elektromagnetische und kosmische Strahlung, Neutrinos und Gravitationswellen, für Beobachtungen zu nutzen und durch die Kombination der unterschiedlichen Informationen vollkommen neue Einsichten zu gewinnen. Ich bin überzeugt, dass wir in den kommenden Jahren viele weitere spektakuläre und überraschende Entdeckungen machen werden, die ohne die „Multi-Messenger“-Astronomie nicht möglich wären. Wir befinden uns am Anfang einer neuen Astronomie. 

Christian Stegmann, DESY

 

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