Makroskopische Körper simulieren leicht gemacht
Neuartige Berechnungsmethode ermöglicht Simulation von Materialien, wie sie in der Quantenchemie und Quantenphysik relevant sind.
Das Verhalten eines makroskopischen Objekts, zum Beispiel eines Magneten, exakt zu berechnen, ist mathematisch hochkomplex. Noch schwieriger ist dies an den Rändern, da hier oft andere Regeln gelten als im Inneren. Mathematiker aus Saarbrücken, Eindhoven und Toronto haben dieses Problem nun gelöst. Wo bislang sogar Supercomputer scheiterten, können nun handelsübliche Laptops binnen Sekunden solche Probleme lösen.
Als ob es nicht schon schwer genug wäre, mathematisch genau vorherzusagen, wie sich zum Beispiel ein magnetischer Supraleiter exakt verhält, wird es an bestimmten Stellen noch komplizierter. „An den Grenzen verhält sich das Material ganz anders als in der Mitte des Supraleiters, mit spannenden technologischen Möglichkeiten“, erklärt Andreas Buchheit, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Mathematikprofessor Sergej Rjasanow.
Der Postdoktorand arbeitet bereits seit einigen Jahren an der Lösung von mathematischen Problemen, die das Verhalten komplexer Systeme wie zum Beispiel eines Supraleiters exakt vorhersagen. Dreidimensionale Objekte wie ein magnetischer Supraleiter bestehen aus 10 hoch 23 Teilchen, und jedes einzelne dieser Teilchen interagiert mit allen anderen Teilchen in diesem System. Möchte man also exakt berechnen, wie sich ein solches System verhält, gilt es, mathematisch jede einzelne Wechselwirkung eines Teilchens mit allen anderen Teilchen unter sich verändernden Bedingungen zu beschreiben – eine schier unlösbare Aufgabe, die bis vor wenigen Jahren noch den stärksten Computer zur Aufgabe gezwungen hat. Bis Andreas Buchheit und seine Kollegen eine Lösung dafür gefunden haben.
Die bisherigen Methoden erlauben es, komplexe geometrische Objekte aus 10 hoch 23 Teilchen in Sekundenschnelle auf einem handelsüblichen Bürocomputer zu berechnen. Mit einer Ausnahme: „Wenn das Objekt scharfe Kanten hat, verhält es sich dort meist anders als dort, wo keine Kanten sind“, so Andreas Buchheit. In einer nun vorgelegten Arbeit widmen sich der Mathematiker und seine Kollegen daher genau diesen Bereichen. „Ohne solche Grenzen können wir diese Systeme inzwischen gut berechnen, aber mit harten Grenzen war es bislang auch mit unseren verbesserten Methoden sehr schwer, die entstehenden Gittersummen zu berechnen“, erläutert der Mathematiker. Auch die effizienteren Verfahren, die Buchheit und seine Kollegen in den vergangenen Jahren entwickelt haben, stoßen an den Kanten des Objekts an ihre Grenzen. Gelingt die Berechnung im Inneren des Objekts noch in Sekundenschnelle auf dem Laptop, wäre an den Rändern wieder der Supercomputer gefordert – und würde nicht selten scheitern.
„Wir haben nun aber eine Möglichkeit gefunden, auch Ecken und Kanten mit in die Berechnung einzubeziehen, und zwar unabhängig von der Anzahl der Teilchen“, sagt Andreas Buchheit über die nun vorgelegte Arbeit, die ein relevantes Problem der Mathematik löst. Ausgangspunkt hierfür ist die Epsteinsche Zeta-Funktion, die auf den deutschen Mathematiker Paul Epstein zurückgeht. Er hat 1903 die Grundlage für die Berechnung solcher Gittersummen gelegt, die sich gleichmäßig ausbreiten, also keine Ränder haben. Andreas Buchheit und seine Kollegen Torsten Keßler (Universität Eindhoven, vormals Universität des Saarlandes) sowie Kirill Serkh (Universität Toronto) haben diese Epsteinsche Zeta-Funktion nun verallgemeinert, so dass nun auch die Ecken und Kanten des Raumes, in welchem die 10 hoch 23 Teilchen sich befinden, exakt berechnet werden können.
Nicht nur theoretisch, auch in der Praxis konnten sie zeigen, dass ihre Überlegungen korrekt sind. „Wir haben uns die Frage gestellt, was passiert, wenn sich der Spin eines einzelnen Elektrons am Rand eines dreidimensionalen Magneten sich im Gegensatz zu allen anderen Elektronen umkehrt. Wie verhalten sich dann alle anderen Teilchen im System, wenn der Spin sich umkehrt?“ Diese Störung im Magnetfeld ist mathematisch betrachtet ein Rauschen. In einem Quantencomputer, der mit magnetischen Supraleitern seine Rechenoperationen ausführt, könnte ein solches Rauschen zum Scheitern einer Rechenoperation führen. „Bisher hätte man dieses Rauschen allenfalls mit einem Supercomputer korrigieren können, wenn überhaupt“, so Andreas Buchheit. „Mit unserer Methode können wir diese Berechnung innerhalb von zwei Sekunden auf einem Laptop für wenige Hundert Euro durchführen.“
Letzten Endes bedeutet dies nichts weniger als eine kleine Revolution für den Fortschritt zum Beispiel in der Materialsimulation. „Unsere Methode funktioniert unabhängig von der Anzahl der Teilchen, also auch unabhängig von der Größe des zu berechnenden Objekts“, fasst Andreas Buchheit zusammen. Ob man nun die Wechselwirkung von nur drei Teilchen oder von 10 hoch 23 Teilchen miteinander berechnen möchte: Die eine Berechnung ist in einem winzigen Bruchteil einer Sekunde, die andere in wenigen Sekunden erledigt – für menschliche Maßstäbe unerheblich. „Wir können nun solche Systeme hochpräzise berechnen, was vorher unmöglich war.“
Damit haben Andreas Buchheit und seine Kollegen die Grundlage gelegt für die Simulation ganz neuer Materialien und Stoffe, die zum Beispiel in der Quantenchemie oder der Quantenphysik die Tür in Bereiche öffnen könnte, welche bisher nur in der Theorie möglich waren. Damit wären der Materialsimulation, um im Bild zu bleiben, keine Grenzen mehr gesetzt.
U. Saarland / DE