01.08.2016

Ausnahmepunkt umrundet

Der Intuition zuwiderlaufende Effekte lassen sich für Ent­wick­lung eines neu­artigen Wellen­leiters nutzen.

Ob Schallwellen, quantenphysikalische Materiewellen oder Lichtwellen eines Lasers – Wellen können unterschiedliche Schwingungszustände annehmen, denen sich unterschiedliche Frequenzen zuordnen lassen. Diese Frequenzen auszurechnen gehört zum täglichen Handwerk der theoretischen Physik. In letzter Zeit sorgen spezielle Systeme für immer mehr Aufmerksamkeit, bei denen gewohnte Regeln über Bord geworfen werden müssen. Wenn Wellen Energie abgeben oder aufnehmen können, stößt man auf „Ausnahmepunkte“, in deren Umgebung die Wellen ein merkwürdiges Verhalten zeigen: Laser schalten sich ein, obwohl man ihnen Energie wegnimmt, Licht leuchtet nur noch in ganz bestimmte Richtungen, und Wellen, die zunächst in ein wildes Durcheinander geraten, treten daraus in einem bestimmten Zustand wieder geordnet hervor.

Abb.: Ausnahmepunkte sind Lösungen von Gleichungen in komplexen Räumen. (Bild: TU Wien)

Einem Forschungsteam der TU Wien gelang es jetzt mit Unterstützung von Kollegen aus Brasilien, Frankreich und Israel, einen solchen Ausnahmepunkt im Experiment zu umrunden – mit bemerkenswerten Ergebnissen. „Die Schwingungsfrequenzen von Wellen in einem bestimmten System hängen normalerweise von mehreren verschiedenen Parametern ab", erklärt Stefan Rotter von der TU Wien. Die charakteristischen Frequenzen von Mikrowellen in einem Metallbehälter werden etwa von der Größe und Form des Behälters bestimmt. Man kann diese Parameter gezielt verändern und somit auch die Frequenz bestimmter Wellenzustände kontinuierlich verschieben.

„Viel komplizierter wird die Situation allerdings bei Systemen, die Energie aufnehmen oder abgeben“, sagt Rotter. „Hier ergeben unsere Gleichungen für die Wellen komplexe Frequenzen.“ Auf den ersten Blick mag das wie eine bloße mathematische Spielerei aussehen, doch in den letzten Jahren zeigte sich, dass die komplexen Frequenzen tatsächlich eine wichtige physikalische Bedeutung haben.

Am deutlichsten treten die Besonderheiten von komplexen Frequenzen zutage wenn man ein System zu einem Ausnahmepunkt hin steuert. „Aus­nahme­punkte treten in Wellen-Systemen auf, deren Form und Absorption so ab­ge­stimmt werden können, dass zwei verschiedene Wellen sich bei einer bestimmten komplexen Frequenz treffen“, erklärt Rotter. „Am Ausnahme­punkt haben die beiden unterschiedliche Schwingungszustände nicht nur dieselbe Resonanzfrequenz und dieselbe Energieverlustrate sondern auch dieselbe räumliche Struktur. Man kann also davon sprechen, dass am Ausnahmepunkt zwei Wellenzustände zu einem einzelnen verschmelzen.“

Wenn ein System solche Ausnahmepunkte erlaubt, lassen sich merkwürdige Effekte beobachten. Die Forscher schickten zwei Wellenmoden in einen Mikrowellenleiter, der so strukturiert ist, dass die Wellen im Inneren des Wellenleiters einen Ausnahmepunkt nicht nur ansteuern, sondern umrunden. Egal welche der beiden Wellenmoden man in das System einkoppelt, kommt am Ende immer dieselbe Mode heraus. Koppelt man aus der Gegenrichtung ein, wird die jeweils andere Mode bevorzugt.

Um die theoretischen Modelle zu testen, die er mit seiner Forschungsgruppe dazu entwickelt, wandte sich Rotter an Kollegen in Frankreich, die mit Mikro­wellen­struk­turen arbeiten – hohle Metallbehälter, durch die man elektro­magne­tische Strahlung schickt, um das Verhalten der Wellen zu studieren. An der TU Wien wurde berechnet, welche spezielle Form ein Wellenleiter haben muss, um die merkwürdigen Aus­nahme­punkt-Eigen­schaften zu zeigen. In der Gruppe von Ulrich Kuhl an der Uni Nizza wurden dann die Experimente durch­ge­führt und das vorhergesagte Verhalten tatsächlich beobachtet.

Systeme mit Ausnahmepunkten bringen eine ganz neue Klasse von Mög­lich­keiten mit sich, Wellen unterschiedlichster Art zu kontrollieren. „Von Aus­nahme­punkten wird man in Zukunft in mehreren Gebieten der Physik sicher­lich noch oft hören“, ist sich Rotter sicher.

TUW / RK

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