Bedrohung für weltbeste Observatorien
Geplanter Industriekomplex in der Nähe des Paranal würde die Beobachtungen der besten astronomischen Einrichtungen massiv verschlechtern.
Eine eingehende technische Analyse der ESO hat die Auswirkungen des INNA-Megaprojekts auf die Einrichtungen des Paranal-Observatoriums in Chile untersucht – und die Ergebnisse sind alarmierend. Die Analyse zeigt, dass INNA die Lichtverschmutzung über dem VLT um mindestens 35 Prozent und über dem CTAO-Süd um mehr als 50 Prozent erhöhen würde. INNA würde auch die Luftturbulenzen in der Region verstärken. Dadurch würden sich die Bedingungen für astronomische Beobachtungen weiter verschlechtern. Außerdem könnten die durch das Projekt verursachten Vibrationen die Funktionsweise einiger astronomischer Einrichtungen, wie des Extremely Large Telescope (ELT), am Paranal-Observatorium ernsthaft beeinträchtigen.

Im Januar schlug die ESO öffentlich Alarm wegen der Bedrohung, die das industrielle Megaprojekt INNA für den dunkelsten und klarsten Himmel der Welt darstellt, nämlich den des Paranal-Observatoriums der ESO. Das Projekt des Unternehmens AES Andes, einer Tochtergesellschaft des US-amerikanischen Energieversorgers AES Corporation, umfasst mehrere Energie- und Produktionsanlagen, die sich über eine Fläche von mehr als 3000 Hektar erstrecken, was der Größe einer Kleinstadt entspricht. Der geplante Standort liegt nur wenige Kilometer von den Paranal-Teleskopen entfernt.
Eine vorläufige Analyse ergab damals, dass das INNA-Projekt aufgrund seiner Größe und Nähe zum Paranal ein erhebliches Risiko für astronomische Beobachtungen darstellt. Nun hat eine detaillierte technische Analyse bestätigt, dass die Auswirkungen von INNA verheerend und irreversibel wären.
Laut der neuen, detaillierten Analyse würde der Industriekomplex die Lichtverschmutzung über dem VLT, das etwa elf Kilometer vom geplanten INNA-Standort entfernt ist, um mindestens 35 Prozent über die derzeitigen Basiswerte für künstliches Licht erhöhen. Ein weiterer Paranal-Standort, das ELT der ESO, würde eine Zunahme der Lichtverschmutzung um mindestens 5 Prozent verzeichnen. Diese Zunahme stellt bereits ein Störungsniveau dar, das mit den für astronomische Beobachtungen von Weltklasse erforderlichen Bedingungen unvereinbar ist. Die Auswirkungen auf den Himmel über dem CTAO-Süd, das nur fünf Kilometer von INNA entfernt liegt, wären am größten, da die Lichtverschmutzung um mindestens 55 Prozent zunehmen würde.
„Mit einem helleren Himmel schränken wir unsere Fähigkeit stark ein, erdähnliche Exoplaneten direkt zu erkennen, lichtschwache Galaxien zu beobachten und sogar Asteroiden zu überwachen, die unserem Planeten Schaden zufügen könnten“, sagt Itziar de Gregorio-Monsalvo, Vertreterin der ESO in Chile. „Wir bauen die größten und leistungsstärksten Teleskope am besten Ort der Erde für die Astronomie, damit Astronomen weltweit sehen können, was noch niemand zuvor gesehen hat. Die Lichtverschmutzung durch Projekte wie INNA behindert nicht nur die Forschung, sondern raubt uns auch den gemeinsamen Blick auf das Universum.“
Für die technische Analyse hat sich ein Expertenteam unter der Leitung von Andreas Kaufer, dem Betriebsleiter der ESO, mit Martin Aubé, einem weltweit führenden Experten für die Himmelshelligkeit an astronomischen Standorten, zusammengetan, um Simulationen mit den aktuellsten Lichtverschmutzungsmodellen durchzuführen. Als Grundlage für die Simulationen dienten öffentlich zugängliche Informationen, die von AES Andes bei der Einreichung des Projekts zur Umweltverträglichkeitsprüfung bereitgestellt wurden und besagen, dass der Komplex von über 1000 Lichtquellen beleuchtet werden soll.
„Die von uns ermittelten Werte für die Lichtverschmutzung gehen davon aus, dass bei dem Projekt die modernsten verfügbaren Leuchten so installiert werden, dass die Lichtverschmutzung minimiert wird. Wir befürchten jedoch, dass die von AES geplante Ausstattung mit Lichtquellen nicht vollständig und zweckmäßig ist. In diesem Fall würden unsere bereits alarmierenden Ergebnisse die potenziellen Auswirkungen des INNA-Projekts auf die Helligkeit des Paranal-Himmels unterschätzen“, erklärt Kaufer.
Er fügt hinzu, dass die Berechnungen von Bedingungen bei klarem Himmel ausgehen. „Wir würden eine noch schlimmere Lichtverschmutzung erhalten, wenn wir bewölkten Himmel berücksichtigen würden“, sagt er. „Obwohl der Paranal die meiste Zeit des Jahres wolkenfrei ist, können viele astronomische Beobachtungen auch bei dünnen Zirruswolken durchgeführt werden – und in diesem Fall wird der Effekt der Lichtverschmutzung verstärkt, da künstliche Lichter in der Nähe stark von den Wolken reflektiert werden.“
Die technische Analyse befasste sich auch mit anderen Auswirkungen des Projekts, wie der Zunahme der atmosphärischen Turbulenzen, den Auswirkungen von Vibrationen auf die empfindliche Teleskopausrüstung und der Staubverschmutzung der empfindlichen Teleskopoptik während der Bauarbeiten. All dies würde die Auswirkungen von INNA auf die astronomischen Beobachtungsmöglichkeiten am Paranal weiter verstärken.
Neben dem dunklen und klaren Himmel ist das Paranal-Observatorium dank seiner außergewöhnlich gleichmäßigen und stabilen Atmosphäre der weltweit beste Standort für die Astronomie. Es bietet das, was Astronomen als hervorragende „Seeing-Bedingungen“ oder sehr geringes „Flackern“ astronomischer Objekte aufgrund von Turbulenzen in der Erdatmosphäre bezeichnen. Mit INNA könnten sich die besten Sichtbedingungen um bis zu 40 Prozent verschlechtern, insbesondere aufgrund der Luftturbulenzen, die durch die Windturbinen des Projekts verursacht werden.
Ein weiterer Grund zur Sorge sind die Auswirkungen der durch INNA verursachten Vibrationen auf das VLT-Interferometer (VLTI) und das ELT, die beide extrem empfindlich auf mikroseismische Störungen reagieren. Die technische Analyse zeigt, dass die Windturbinen von INNA diese Mikrovibrationen des Bodens so stark verstärken könnten, dass der Betrieb dieser beiden weltweit führenden astronomischen Einrichtungen beeinträchtigt wird. Auch Staub während der Bauarbeiten ist problematisch, da er sich auf den Teleskopspiegeln absetzt und deren Sicht behindert.
„Zusammengenommen stellen diese Störungen eine ernsthafte Bedrohung für die aktuelle und langfristige Tragfähigkeit des Paranal als weltweit führendes astronomisches Zentrum dar, da sie zum Verlust wichtiger Entdeckungen über das Universum führen und den strategischen Vorteil Chiles in diesem Bereich gefährden“, sagt de Gregorio-Monsalvo. „Die einzige Möglichkeit, den unberührten Himmel über dem Paranal zu retten und die Astronomie für künftige Generationen zu schützen, ist die Verlegung des INNA-Komplexes.“
Ferner wird die Infrastruktur von INNA wahrscheinlich die Entwicklung eines Industriezentrums in der Region fördern, was Paranal zu einem unbrauchbaren Standort für astronomische Beobachtungen auf höchstem Niveau machen könnte.
„Die ESO und ihre Mitgliedstaaten unterstützen die Dekarbonisierung der Energieversorgung uneingeschränkt. Für uns sollte Chile nicht vor der Wahl stehen, entweder die leistungsstärksten astronomischen Observatorien zu beherbergen oder Projekte für grüne Energie zu entwickeln. Beide sind erklärte strategische Prioritäten des Landes und sind voll kompatibel – wenn die verschiedenen Einrichtungen in ausreichendem Abstand voneinander angesiedelt sind“, sagt ESO-Generaldirektor Xavier Barcons.
Der vollständige technische Bericht wird den chilenischen Behörden im Laufe dieses Monats im Rahmen des Bürgerbeteiligungsverfahrens (PAC) bei der Umweltverträglichkeitsprüfung von INNA vorgelegt und zu diesem Zeitpunkt vor Ablauf der Frist am 3. April veröffentlicht. Zusätzlich zu dieser Pressemitteilung veröffentlicht die ESO vorab eine Zusammenfassung des Berichts.
„Wir sind sehr dankbar für die Unterstützung, die wir von den chilenischen und weltweiten Forschungsgemeinschaften sowie von unseren ESO-Mitgliedstaaten erhalten haben. Wir danken auch den chilenischen Behörden für die Prüfung dieser Angelegenheit. Wir sind mehr denn je entschlossen, zusammenzuarbeiten, um den unersetzlichen Himmel über Paranal zu schützen“, schließt Barcons.
ESO / DE