Die Physik von Großraumbüros und Klassenzimmern
Wie sind die Auswirkungen bauphysikalischer Parameter wie Akustik, Raumklima und Beleuchtung auf den Menschen?
Auf die sprichwörtliche Couch müssen die Probanden zwar nicht, aber ein etwas mulmiges Gefühl beschleicht sie doch, wenn der Psychologe Andreas Liebl vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP seine Testbogen mit den Aufgaben und Fragen verteilt. Doch hier geht es nicht um Schulnoten, sondern um Konzentrationsvermögen und Merkfähigkeit, um Bewertungen von Störquellen und Einflussfaktoren der Umgebung wie laut oder leise, hell oder dunkel, kalt oder warm.
Abb.: Im HiPie-Labor des Fraunhofer IBP lassen sich die bauphysikalischen Parameter wie Akustik, Raumklima und Beleuchtung gezielt beeinflussen, um ihre Wirkung auf Menschen zu erforschen. (Bild: Fraunhofer IBP)
Der Raum mit seinen thermischen, akustischen, olfaktorischen und beleuchtungstechnischen Parametern steht im Fokus der ergonomischen Betrachtungen, die Bauphysik und Psychologie miteinander verknüpfen, um die vielschichtigen Wechselwirkungen der gebauten Umwelt auf den Menschen zu erforschen. Wenn Menschen produktiv und leistungsfähig arbeiten und sich dabei wohlfühlen und gesund bleiben sollen, muss der sie umgebende Raum – sei dies ein Büroraum, Klassenzimmer oder ein Zugabteil – bestimmte Kriterien erfüllen. Welche das sind und welche Konsequenzen sich daraus ergeben erforschen die Wissenschaftler der Gruppe „Kognitive Ergonomie und Psychoakustik“ am Fraunhofer IBP.
Der akustische Komfort in Mehrpersonenbüros und die Auswirkungen auf die kognitive Leistungsfähigkeit ist Gegenstand dieser empirischen Untersuchungen, die übrigens mit dem weitverbreiteten Irrtum aufräumen, so Liebl, „Psychologen würden sich hauptsächlich mit gestörtem Verhalten und psychischen Problemen beschäftigen“. Hier zum Beispiel gehe es darum, Leistungsfähigkeit, Wohlbefinden und Zufriedenheit der arbeitenden Menschen zu gewährleisten.
In Deutschland ist nahezu jeder zweite Arbeitsplatz ein Büro- oder Bildschirmarbeitsplatz; das sind etwa 20 Millionen. Geistige Tätigkeiten verbunden mit einem großen Anteil an kreativer Leistung sowie hoher Zeitdruck kennzeichnen die heutige Büroarbeit. Doch wie ist es mit den Arbeitsbedingungen für die im Büro Beschäftigen bestellt? Sind die Räume hinsichtlich Lichtverhältnissen, Raumklima und Akustik so gestaltet, dass sie zur Leistung motivieren, stimulieren und inspirieren können? Wissenschaftliche Erhebungen liefern Zahlen, die eine eindeutige Sprache sprechen. So geben in einer im Jahre 2005 durchgeführten Untersuchung 99 Prozent der Befragten an, dass Lärm ihre Konzentration erheblich beeinträchtigt. Typischer Bürolärm wie Telefonklingeln und Gespräche im Hintergrund wird nicht nur als störend empfunden; er beeinträchtigt empfindlich das physische und psychische Wohlbefinden der Mitarbeiter.
Doch der Störfaktor Lärm hat noch mehr Auswirkungen. Nach wissenschaftlichen Ergebnissen des Fraunhofer IBP wirkt er sich eindeutig negativ auf die kognitive Leistungsfähigkeit aus. „Verständliche Sprache als Hintergrundgeräusch zieht automatisch Aufmerksamkeit auf sich und verbraucht einen Teil der kognitiven Ressourcen“, so Liebls Fazit. Er verzeichnete bei Versuchspersonen eine Leistungsminderung des Kurzzeitgedächtnisses bis dreißig Prozent. Hinzu kommt der Mangel an akustischer Privatheit am Arbeitsplatz, die die Mehrheit der Befragten als störend empfindet.
Wie lässt sich feststellen, unter welchen Bedingungen sich bestimmte Umgebungsfaktoren belastend auswirken? Dafür hat das Fraunhofer IBP das HiPIE-Labor (High Performance Indoor Environment) eingerichtet. Hier lassen sich die bauphysikalischen Parameter Akustik, Raumklima und Beleuchtung gezielt beeinflussen, um deren Zusammenspiel und ihre Wirkung auf den Menschen zu untersuchen. Das eingebaute Soundsystem, das auf dem Prinzip der Wellenfeldsynthese beruht,kann reale Schallfelder wie zum Beispiel Büroszenarien nachbilden. So ist eine Besonderheit des Labors, dass viele Schallquellen räumlich verteilt und auch bewegt werden können. Um spezielle Werkstoffe und Materialsysteme für Testzwecke einzubauen, können sogar die Raumbegrenzungsflächen geändert werden.
Je besser die bauphysikalischen Parameter abgestimmt sind, umso höher die Zufriedenheit und das Wohlbefinden und daraus resultierend die Leistungsfähigkeit. „Eine vom Fraunhofer IBP durchgeführte Feldstudie unter Büroangestellten belegt, dass einer Verbesserung der Akustik höchste Priorität eingeräumt wird“, resümiert Liebl. Besonders in Mehrpersonenbüros ist die akustische Gestaltung wichtig, denn hier prallen vermeintlich unvereinbare Anforderungen nach angemessener sprachlicher Kommunikation und ungestörtem konzentrierten Arbeiten aufeinander. Das Ausmaß der Störung durch Gespräche anderer am Arbeitsplatz wird von etwa 75 Prozent der Befragten als belastend empfunden, ist das Ergebnis dieser Untersuchungen. Nichtsprachliche Geräusche stellen im Vergleich dazu ein geringeres Problem dar.
Auch die Sprachverständlichkeit (Speech Transmission Index STI) ist eine mögliche physikalische Führungsgröße, um damit offene Büroumgebungen rechnerisch bewerten zu können. Sie unterliegt mehreren Einflüssen: Der Nachhall, die Raumgröße und dessen Aufbau, die Anordnung der Arbeitsplätze mit der jeweiligen Möblierung, aber auch Störgeräusche wirken sich darauf aus, wie hoch die Sprachverständlichkeit ist. Noch existieren keine verbindlichen Vorschläge für die Anwendung des STI in Mehrpersonenbüros. Um den Konflikt zwischen vermeintlich unvereinbaren Anforderungen nach angemessener sprachlicher Kommunikation und ungestörtem konzentrierten Arbeiten aufzulösen, bedarf es einer Datenbasis, welche die Ausprägung des STI im Raum in Abhängigkeit von der Büroform, der Möblierung und der Arbeitsplatzdichte aufzeigt. Die Experten des Fraunhofer IBP analysieren Problemfelder und forschen im Auftrag interessierter Unternehmen an zufriedenstellenden Lösungen.
Auch Sie können als Proband an den wissenschaftlichen Untersuchungen mitwirken. Bei Interesse senden Sie bitte Ihre Kontaktdaten unter dem Betreff »Probandenpool« an andreas.liebl@ibp.fraunhofer.de.
FhG / OD